Johann Wolfgang von Goethe, An den Mond |
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Füllest wieder Busch und Tal |
Still mit Nebelglanz, |
Lösest endlich auch einmal |
Meine Seele ganz; |
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Breitest über mein Gefild |
Lindernd deinen Blick, |
Wie des Freundes Auge mild |
Über mein Geschick. |
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Jeden Nachklang fühlt mein Herz |
Froh’ und trüber Zeit, |
Wandle zwischen Freud und Schmerz |
In der Einsamkeit. |
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Fließe, fließe, lieber Fluß! |
Nimmer werd ich froh, |
So verrauschte Scherz und Kuß, |
Und die Treue so. |
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Ich besaß es doch einmal, |
Was so köstlich ist! |
Daß man doch zu seiner Qual |
Nimmer es vergißt! |
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Rausche, Fluß, das Tal entlang, |
Ohne Rast und Ruh, |
Rausche, flüstre meinem Sang |
Melodien zu, |
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Wenn du in der Winternacht |
Wütend überquillst |
Oder um die Frühlingspracht |
Junger Knospen quillst. |
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Selig, wer sich vor der Welt |
Ohne Haß verschließt, |
Einen Freund am Busen hält |
Und mit dem genießt. |
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Was von Menschen nicht gewußt |
Oder nicht bedacht, |
Durch das Labyrinth der Brust |
Wandelt in der Nacht. |
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Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist Johann Wolfgang von Goethe (*1749-08-28 - †1832-03-22). |