Poezio
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Friedrich Wilhelm Weber * Dreizehnlinden, Kapitel 4, Die Mette Deutsch Arg-298-152 2014-12-20 19:51 Manfred nur diese entfernen
Manfredo Ratislavo Dektritilio, ĉapitro 4, La noktomeza meso Esperanto Arg-301-152 2014-12-20 19:50 Manfred nur diese hinzufügen

Friedrich Wilhelm Weber,
Dreizehnlinden, Kapitel 4, Die Mette

 
1 Mitternacht! Durch ferne Schluchten
Klingt das Klosterglöcklein helle:
Fromme Schläfer, schwarze Mönche,
Werdet wach in eurer Zelle;
 
2 Werdet wach, ihr frommen Schläfer!
Von dem harten Strohsackbette
Ruft des Ordens strenge Regel
In die Kirche zu der Mette;
 
3 In die Kirche, wo die Pfeiler
Wie gebannte Hünen ragen,
Die das schwere Steingewölbe
Keuchend auf den Schultern tragen;
 
4 Wo die stillen, weißen Bilder
An den grauen Wänden schimmern,
Wo im Chor die ew’ge Lampe
Und geweihte Kerzen flimmern. -
 
5 Jetzt, mein Lied, du scheue Jungfrau,
An die Stirne leg den Finger,
Sinne wach: du mußt mir nennen
All die Beter, all die Singer;
 
6 Heimatland und Los der Männer,
Die da zu den Sitzen traten,
Und was jeder eben dachte,
Mußt du raten und verraten;
 
7 Alles, ob auch das und dieses
Herb und ungebührlich scheine:
Die du zeigst, sie waren Menschen,
Gute Menschen, wie ich meine. -
 
8 Erstlich schritt herein der greise
Abt Warin, voll Kraft und Würde,
Stumpf und stark; die Last der Jahre
Beugt’ ihn und des Amtes Bürde.
 
9 Ekberts Sohn, des Sachsenherzogs,
Frankenfürst vom Mutterblute,
Unter die Ardennenwölfe
Sprang er früh mit keckem Mute;
 
10 In der Kämpfer dichte Knäuel
Sprang er kühn in zwanzig Schlachten;
Ronzeval im heißen Spanien
Lehrt’ ihn, Zeit und Welt verachten.
 
11 Ronzeval! Die Heiden tobten,
Flammen sprühte Durindane,
Olifant zerbarst im Dröhnen,
Dennoch sank die Kreuzesfahne.
 
12 Und der Abt, in manchem Traume
Ächzt’ er noch in Kampfeswettern,
Hört’ seines jungen Kämpen
letztes Jauchzen, letztes Schmettern.
 
13 Durch die Heldenseele rauschte
Jetzt des Rolandsliedes Weise
Wild und schmerzlich: „Vanitatum
Vanitas!“ erseufzt’ er leise. -
 
14 Warkward drauf, der Pater Prior,
Echtes Reis vom Stamm der Sachsen,
Lichten Haars mit blauen Augen,
Schulterbreit und hochgewachsen.
 
15 Von der Lippe weich und üppig
Floß sein Bart in langen Locken,
Oft beim Grübeln durch die Finger
Glitten ihm die goldnen Flocken.
 
16 Wo der Weser blaue Fluten
Durch das Felsentor sich bahnen
Ihren Weg ins weite Flachland,
Lag der Freihof seiner Ahnen.
 
17 Wortgewandt und zungenfertig,
Lernt’ er aller Männer Rede;
Scharf und schneidig zu gebrauchen
Wußt’ er sie in mancher Fehde.
 
18 Lust am Kampf im deutschen Herzen,
Deutsches Blut in jeder Ader,
Mit Romanen, Welschen, Wenden
Stritt er oft in hartem Hader.
 
19 Aber schroffen Widersachern
Schrieb er gern im Jugenddrange
Seiner Meinung rote Runen
Mit dem Schwert auf Brust und Wange.
 
20 Stiller war sein Mut geworden;
Nur wenn unversehens einer
Jenes Tags bei Verden dachte,
Jenes Bluttags, schwarz wie keiner,
 
21 Fuhr er auf, die Augen blitzten,
Glüh vom Sachsentrotz, dem alten;
Doch er konnte starken Willens
Seinen Zorn im Zügel halten;
 
22 Denn er dient’ in Mannentreue
Seinem Herzog, Gottes Sohne,
Der da führt das Kreuz im Banner
Und die blut’ge Dornenkrone.
 
23 Sein Gemüt bewegten heute
Trübe, traurige Gedanken:
Die des Heilands Lehre brachten,
Arges bringen einst die Franken.
 
24 Denn er sah im Geist: vom Westen
Droht Gewalttat, Raub und Fälschung
Deutschen Rechts und deutscher Sitte
Überflutende Verwelschung.
 
25 Fern, noch fern! - Zum Hochaltare
Hub er fromm die Seherblicke:
„Herr der Welt, in Gnaden füge
Meines Vaterlands Geschicke!“ -
 
26 Heribert, der bleiche Denker,
Folgt’ ihm nach mit sachten Schritten;
Wo die Mosel rauscht’, da standen
Seines Heimatdorfes Hütten.
 
27 In der gallischen Corbeja
Saß der Jüngling viele Jahre,
Harrend, daß das Nieerforschte
Weiser Mund ihm offenbare,
 
28 Die Gesetze, die der großen,
die der kleinen Welt gebieten,
Bis er sich beschränkt’ und senkte
In den Geist des Stagiriten.
 
29 Jetzt erwog er das Problema,
Ob der Tugend milde Flamme
Aus Belehrung und Erfahrung
Oder aus dem Herzen stamme. -
 
30 Dann erschien der Pater Luthard,
Falkenäugig, hochgeschossen,
Edlen Bluts; im Habichtswalde
War dies Tannenreis ersprossen.
 
31 Früh gewöhnt an Weidmannswerke,
Trotz der Schul’ an Weidmannssprüche,
War’s ihm Freud’ und Pflicht, zu schaffen
Vorrat in die Klosterküche
 
32 Und, was unhold trabt im Berge,
Fuchs und Wolf, die schlimmen Plager,
Zu belisten und den Bären
Anzugehn im eignen Lager.
 
33 Dacht’ er jetzt: „Die Knospen schwellen:
Sollt’ es morgen nicht gelingen,
Auf der Falz im Tagesdämmern
An den Auerhahn zu springen?“ -
 
34 Nach ihm trat herein der Riese
Pater Ivo. Traun, dem Alten
Stünden besser Helm und Brünne
Als des Chorhemds weiche Falten!
 
35 Hüten mußt’ er seines Vaters
Herden auf den Emmerauen;
Dort, im Kampf mit einem Roßdieb
Ward ihm sein Gesicht zerhauen,
 
36 Zwiegeteilt von Ohr zu Ohre;
Rot und blau erquoll die Narbe:
Geh ins Kloster, armer Junge,
Mädchen lieben beßre Farbe!
 
37 Drauf in Winfrieds heil’gen Mauern
Ließ er gern sich unterrichten:
Zwar Raban, der kluge Meister,
Lobte sein Latein mitnichten;,
 
38 Doch begriff er schnell der Zahlen
Heimlichkeit; mit Stab und Leine
Maß er und zu festem Baue
Fügt’ er schicklich Holz und Steine.
 
39 Als nun Abt Warin das neue
Klosterhaus begann zu gründen,
Ging im Dienst der Werkerfahrne
Frohen Muts nach Dreizehnlinden.
 
40 Jetzo dacht’ er: „Schwere Krankheit
Schickt der Himmel dem Gesunden
Zur Genesung und dem Kranken
Zur Genesung schwere Wunden.“ -
 
41 Pater Bernhard war der sechste,
Stammend aus den Bruktrerföhren,
Wo die Menschen Holzschuh tragen
Und von schwarzem Brot sich nähren:
 
42 Blasse, blonde, stille Menschen,
Träumerische, ahnungsreiche;
Nächtlich flattern Geisterschemen
Durch die Heid’ um Moor und Teiche.
 
43 Von des Vaters Strohdachkotten
Schied der Knab’ und suchte Ruhe;
Hathumar, der milde Bischof,
Gab ihm Trost und Lederschuhe.
 
44 Tankmar hieß der fromme Priester,
Der dem Eifervollen wehrte;
Auch in stiller Klosterzelle
Fehlt’ ihm, was sein Herz begehrte.
 
45 Nach des Himmels goldnen Häusern
Weint’ er jetzt, wie spät und frühe,
Seufzend: „Wer doch Taubenflügel
Der gefangnen Seele liehe!“ -
 
46 Munter schritt ihm nach der kecke
Sigeward. Des Osnings Hänge
Rauschten in die Brust des Knaben
Wilde, wunderliche Sänge.
 
47 Mit den Sängen, mit der Fiedel
Zog er weit von Gau’n zu Gauen,
Strich zum Tanz den Freilingstöchtern
Und den stolzen Edelfrauen.
 
48 Sah am Königshof des großen
Harun-al-Raschids Gesandten
An den großen Frankenkönig,
Den noch größern Elefanten;
 
49 Auch ein Äfflein; dieser Affe
War der erste Aff’ im Norden:
Menschheitsväter sind sie später
Und gemein im Land geworden.
 
50 Saust dem müden Wandervogel
Quer der Sturmwind ins Gefieder,
Gern an menschenferner Stelle
Läßt er sich im Walde nieder.
 
51 Sigeward, der irre Fahrer,
Flüchtend aus dem Weltgebrause,
Stellt’ ans Kirchtor Stab und Schuhe
Und erkor die stille Klause.
 
52 Islands Falke kann die Kappe,
Ring und Riemen stumm verschmerzen:
Unaufhaltsam bricht des Liedes
Sprudel aus Poetenherzen.
 
53 Auch im Kloster, deutsch und römisch,
Klangen Sigewards Gesänge,
Doch am hellsten klang der liebe
Heimatlaut der Osnighänge.
 
54 Jetzo durch den Kopf des Mönches
Flog ein Reimlein auf die Franken:
„O wie wird der Prior lachen,
Und der Abt, wie würd’ er zanken!“ -
 
55 Hatto kam, mit hoher Stirne
Und mit selig trunknen Blicken:
Kind des Landes, wo am Hügel
Rhein und Wein sich freundlich nicken.
 
56 Ivo sagt’ im Scherz, die Mutter
Hab’ in einer Rebenlaube
Ihn ernährt mit feurig süßem
Most der Deidesheimer Traube.
 
57 Früh gewidmet dem Altare,
Trieb es ihn, zu Dreizehnlinden
Heil’ger Hymnen und Sequenzen
Wort und Weise zu erfinden;
 
58 Auch mit wohlgewählten Farben
In lebendig treuen Bildern
Auf der Leinwand fromme Sage
Und Geschichte abzuschildern.
 
59 Heute malt’ er in Gedanken
Wie sein Held, der Todbesieger,
Glorreich auferstand und rückwärts
Taumelten die welschen Krieger. -
 
Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist
Friedrich Wilhelm Weber (Frederiko Vilhelmo
Vebero, *1813-12-25 - †1894-04.05).