Annette von Droste-Hülshoff, Am Neujahrstag |
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Das Auge sinkt, die Sinne wollen scheiden; |
Fahr wohl, du altes Jahr, mit Freud und Leiden! |
Der Himmel schenkt ein neues, wenn er will. |
So neigt der Mensch sein Haupt an Gottes Güte, |
Die alte fällt, es keimt die neue Blüte, |
Aus Eis und Schnee die Pflanze Gottes still. |
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Die Nacht entflieht, der Schlaf den Augenlidern; |
Willkommen, junger Tag mit deinen Brüdern! |
Wo bist du denn, du liebes neues Jahr? |
Da steht es in des Morgenlichtes Prangen, |
Es hat die ganze Erde rings umfangen |
Und schaut ihm in die Augen ernst und klar. |
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Gegrüßt du Menschenherz mit deinen Schwächen, |
Du Herz voll Kraft und Reue und Gebrechen, |
Ich bringe neue Prüfungszeit vom Herrn! |
Gegrüßt du neues Jahr mit deinen Freuden, |
Das Leben ist so süß, und wären’s Leiden, |
Ach, alles nimmt man mit dem Leben gern. |
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Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist Annette von Droste-Hülshoff (*1797-01-10 - †1848-05-24). |