Friedrich Wilhelm Weber, Dreizehnlinden, Kapitel 9, Auf Waldes Pfaden |
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1 Achtsam kann das Reh sich hüten |
Vor des Bären plumper Tatze; |
Schwerlich, bückt es sich zum Brunnen, |
Vor dem Sprung der falschen Katze. - |
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2 Elmar, zieh den Gurt dir fester, |
Wenn du gehst zum wilden Walde: |
Schwarze Elben, schwärzre Menschen |
Lauern an der Bergeshalde. - |
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3 Wilder Wald! Die müde Sonne |
Ruht’ an nackten Felsenwänden, |
Um den letzten blauen Glocken |
Ihre letzte Gunst zu spenden. |
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4 Scharfes Schwirren durch die Wipfel |
In dem herbstlich harten Laube |
Und vom Buchenhang der kurze |
Flügelschlag der Ringeltaube; |
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5 Dann am Ast des Spechtes Hacken, |
Fern der schrille Schrei der Dohlen; |
Dann ein langes schweres Seufzen |
Wie des Berges Atemholen; |
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6 Dann um Enzian und Quendel |
Wilder Bienen leises Summen; |
Dann ein Habichtskreisch, und wieder |
Tiefes Schweigen und Verstummen. - |
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7 Elmar, zieh den Gurt dir fester! - |
Langsam schritt er durch die Gründe, |
Menschenferne, wo geborgen |
Sich begegnen Hirsch und Hinde. |
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8 Ging er auf der Spur des Wildes, |
Um zur Lust ein Tier zu töten? |
O, er wollt’ en heil’ger Stätte |
Sich entsündigen und beten. - |
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9 Grüne Lichtung! In der Mitte |
Stand die graue Donnereiche, |
Riesenhaft vor allen Riesen |
Auf und ab im Gaubereiche. |
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10 Hehr und breit wie Tempelhallen |
Wölbte sich das Astgeschlinge, |
Altgeweiht, von Frevlerhänden |
Nie verletzt mit Beil und Klinge. |
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11 Denn nach Sag’ und Väterglauben |
War sie eines Gottes Eigen, |
Der da rauscht’ im dunkeln Wipfel, |
Der da weht’ in Stamm und Zweigen. |
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12 Elmar nahte sonder Waffen, |
Hänfne Schnur an beiden Händen; |
Selbstlos, arm, freiwillig unfrei |
Soll der Mensch sich aufwärts wenden. |
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13 Also mit gebeugtem Haupte |
Stand er in des Gottes Frieden: |
„Zürnst du, daß ich bei den Fremden |
Deinen Dienst so lang gemieden? |
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14 O, ich höre, wie dein Unmut |
Schilt und schauert durch die Blätter: |
Wenn mich Erdgeborne hassen, |
Seid mir hold, ihr guten Götter! |
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15 Lief ein Knab’ in Busch und Ranken, |
Fortgelockt vom Vogelsange, |
Kommt er heim mit wunden Füßen, |
Zankt die Mutter, doch nicht lange. |
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16 Komm’ ich heim mit wundem Herzen, |
Zürnen magst du, doch nicht grollen; |
Wie ein heilig Wasser läutert |
Tränenflut den Reuevollen. |
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17 Du, der Eine, den ich suche, |
Du, der Ew’ge, der nicht altet, |
Der in Huld der Sonne droben |
Und der Menschenlose waltet; |
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18 Du, der dort im Wipfe säuselt, |
Der in ahnungsvoller Nähe |
Rätsel wispelt, die ich höre, |
Deren Sinn ich nicht verstehe: |
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19 Bist du Wodan, bist du Donar? |
Namen sind es leeren Schalles: |
Du bist du, der Unerkannte, |
Unbegriffne, Eins und Alles! |
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20 Hier, wo auf geweihtem Grunde |
Du nur und der Wald mich hören, |
Bring’ ich dar ein reines Opfer: |
All mein Sehnen und Begehren! |
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21 All mein armes Glück, des Herzens |
Wünsche, die mich von dir schieden, |
Dürft’ ich auch Erfüllung hoffen, |
Geb’ ich hin, gib du mir Frieden! |
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22 Gott, mein Gott, ich will entsagen!“ - |
Horch, da knickt’ es in den Büschen, |
Scharfes Klirren, Sehnenschwirren |
Und Gezisch wie Schlangenzischen. |
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23 Elmar wankte; nah dem Herzen |
Steckt’ ein Pfeil; die Viperzunge |
Riß er aus, und in die Birken |
Stürmt’ er wie der Wolf in Sprunge. |
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24 Schnelle Flucht und rasche Folge: |
Jetzt! - er hielt ihn am Genicke: |
„Königsbote, Meuchelmörder, |
Du? - Das heiß’ ich Frankentücke! |
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25 Als zum offnen Kampf dich luden |
Rab und ich auf Schwert und Lanze, |
Drücktest du dich, feiger Prahler, |
Hinter deiner Sendung Schanze, |
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26 Uns zum Heil: dein Blut, des Schurken, |
Lautre Waffen mußt’ es schänden: |
Geh, es mag ein Knecht dich würgen! |
Geh, du magst am Zaun verenden! |
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27 Zittre nicht, schier möcht’ ich lachen; |
Werde kühner; sieh, ich bleibe |
Scheu wie einem Pestbefallnen, |
Armer Mann, dir weit vom Leibe! |
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28 War kein Schalk so schlecht und käuflich, |
Dunkelwerk für dich zu üben, |
Daß du selbst mit ew’ger Schande |
Deinen Wappenschild beschrieben? |
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29 Bist du stumm?“ - Mit irren Augen |
Stand der Wicht, verstört und bange; |
Seiner Hand entglitt der Bogen, |
Alles Blut der hohlen Wange. |
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30 Stotternd rief er: „Falk, ich könnte |
Dich auf Haut und Haar verklagen, |
Dich auf Hals und Hand, du Stolzer!“ |
Elmar sprach: „Ich kann es tragen!“ - |
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31 „Kränkst du mich, den Königsboten, |
Königsbann wird dich vernichten; |
Unser ist die Macht im Lande!“ |
Elmar sprach: „Die Götter richten! |
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32 Heb dich fort!“ Der Frank entschlüpfte |
Durchs Gebüsch mit heiserm Fluche, |
Und der Schrei der wilden Katze |
Kreitschte von der nächsten Buche. |
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Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist Friedrich Wilhelm Weber (Frederiko Vilhelmo Vebero, *1813-12-25 - †1894-04.05). |