Friedrich Wilhelm Weber, Dreizehnlinden, Kapitel 4, Die Mette |
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1 Mitternacht! Durch ferne Schluchten |
Klingt das Klosterglöcklein helle: |
Fromme Schläfer, schwarze Mönche, |
Werdet wach in eurer Zelle; |
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2 Werdet wach, ihr frommen Schläfer! |
Von dem harten Strohsackbette |
Ruft des Ordens strenge Regel |
In die Kirche zu der Mette; |
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3 In die Kirche, wo die Pfeiler |
Wie gebannte Hünen ragen, |
Die das schwere Steingewölbe |
Keuchend auf den Schultern tragen; |
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4 Wo die stillen, weißen Bilder |
An den grauen Wänden schimmern, |
Wo im Chor die ew’ge Lampe |
Und geweihte Kerzen flimmern. - |
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5 Jetzt, mein Lied, du scheue Jungfrau, |
An die Stirne leg den Finger, |
Sinne wach: du mußt mir nennen |
All die Beter, all die Singer; |
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6 Heimatland und Los der Männer, |
Die da zu den Sitzen traten, |
Und was jeder eben dachte, |
Mußt du raten und verraten; |
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7 Alles, ob auch das und dieses |
Herb und ungebührlich scheine: |
Die du zeigst, sie waren Menschen, |
Gute Menschen, wie ich meine. - |
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8 Erstlich schritt herein der greise |
Abt Warin, voll Kraft und Würde, |
Stumpf und stark; die Last der Jahre |
Beugt’ ihn und des Amtes Bürde. |
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9 Ekberts Sohn, des Sachsenherzogs, |
Frankenfürst vom Mutterblute, |
Unter die Ardennenwölfe |
Sprang er früh mit keckem Mute; |
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10 In der Kämpfer dichte Knäuel |
Sprang er kühn in zwanzig Schlachten; |
Ronzeval im heißen Spanien |
Lehrt’ ihn, Zeit und Welt verachten. |
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11 Ronzeval! Die Heiden tobten, |
Flammen sprühte Durindane, |
Olifant zerbarst im Dröhnen, |
Dennoch sank die Kreuzesfahne. |
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12 Und der Abt, in manchem Traume |
Ächzt’ er noch in Kampfeswettern, |
Hört’ seines jungen Kämpen |
letztes Jauchzen, letztes Schmettern. |
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13 Durch die Heldenseele rauschte |
Jetzt des Rolandsliedes Weise |
Wild und schmerzlich: „Vanitatum |
Vanitas!“ erseufzt’ er leise. - |
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14 Warkward drauf, der Pater Prior, |
Echtes Reis vom Stamm der Sachsen, |
Lichten Haars mit blauen Augen, |
Schulterbreit und hochgewachsen. |
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15 Von der Lippe weich und üppig |
Floß sein Bart in langen Locken, |
Oft beim Grübeln durch die Finger |
Glitten ihm die goldnen Flocken. |
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16 Wo der Weser blaue Fluten |
Durch das Felsentor sich bahnen |
Ihren Weg ins weite Flachland, |
Lag der Freihof seiner Ahnen. |
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17 Wortgewandt und zungenfertig, |
Lernt’ er aller Männer Rede; |
Scharf und schneidig zu gebrauchen |
Wußt’ er sie in mancher Fehde. |
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18 Lust am Kampf im deutschen Herzen, |
Deutsches Blut in jeder Ader, |
Mit Romanen, Welschen, Wenden |
Stritt er oft in hartem Hader. |
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19 Aber schroffen Widersachern |
Schrieb er gern im Jugenddrange |
Seiner Meinung rote Runen |
Mit dem Schwert auf Brust und Wange. |
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20 Stiller war sein Mut geworden; |
Nur wenn unversehens einer |
Jenes Tags bei Verden dachte, |
Jenes Bluttags, schwarz wie keiner, |
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21 Fuhr er auf, die Augen blitzten, |
Glüh vom Sachsentrotz, dem alten; |
Doch er konnte starken Willens |
Seinen Zorn im Zügel halten; |
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22 Denn er dient’ in Mannentreue |
Seinem Herzog, Gottes Sohne, |
Der da führt das Kreuz im Banner |
Und die blut’ge Dornenkrone. |
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23 Sein Gemüt bewegten heute |
Trübe, traurige Gedanken: |
Die des Heilands Lehre brachten, |
Arges bringen einst die Franken. |
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24 Denn er sah im Geist: vom Westen |
Droht Gewalttat, Raub und Fälschung |
Deutschen Rechts und deutscher Sitte |
Überflutende Verwelschung. |
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25 Fern, noch fern! - Zum Hochaltare |
Hub er fromm die Seherblicke: |
„Herr der Welt, in Gnaden füge |
Meines Vaterlands Geschicke!“ - |
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26 Heribert, der bleiche Denker, |
Folgt’ ihm nach mit sachten Schritten; |
Wo die Mosel rauscht’, da standen |
Seines Heimatdorfes Hütten. |
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27 In der gallischen Corbeja |
Saß der Jüngling viele Jahre, |
Harrend, daß das Nieerforschte |
Weiser Mund ihm offenbare, |
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28 Die Gesetze, die der großen, |
die der kleinen Welt gebieten, |
Bis er sich beschränkt’ und senkte |
In den Geist des Stagiriten. |
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29 Jetzt erwog er das Problema, |
Ob der Tugend milde Flamme |
Aus Belehrung und Erfahrung |
Oder aus dem Herzen stamme. - |
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30 Dann erschien der Pater Luthard, |
Falkenäugig, hochgeschossen, |
Edlen Bluts; im Habichtswalde |
War dies Tannenreis ersprossen. |
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31 Früh gewöhnt an Weidmannswerke, |
Trotz der Schul’ an Weidmannssprüche, |
War’s ihm Freud’ und Pflicht, zu schaffen |
Vorrat in die Klosterküche |
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32 Und, was unhold trabt im Berge, |
Fuchs und Wolf, die schlimmen Plager, |
Zu belisten und den Bären |
Anzugehn im eignen Lager. |
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33 Dacht’ er jetzt: „Die Knospen schwellen: |
Sollt’ es morgen nicht gelingen, |
Auf der Falz im Tagesdämmern |
An den Auerhahn zu springen?“ - |
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34 Nach ihm trat herein der Riese |
Pater Ivo. Traun, dem Alten |
Stünden besser Helm und Brünne |
Als des Chorhemds weiche Falten! |
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35 Hüten mußt’ er seines Vaters |
Herden auf den Emmerauen; |
Dort, im Kampf mit einem Roßdieb |
Ward ihm sein Gesicht zerhauen, |
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36 Zwiegeteilt von Ohr zu Ohre; |
Rot und blau erquoll die Narbe: |
Geh ins Kloster, armer Junge, |
Mädchen lieben beßre Farbe! |
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37 Drauf in Winfrieds heil’gen Mauern |
Ließ er gern sich unterrichten: |
Zwar Raban, der kluge Meister, |
Lobte sein Latein mitnichten;, |
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38 Doch begriff er schnell der Zahlen |
Heimlichkeit; mit Stab und Leine |
Maß er und zu festem Baue |
Fügt’ er schicklich Holz und Steine. |
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39 Als nun Abt Warin das neue |
Klosterhaus begann zu gründen, |
Ging im Dienst der Werkerfahrne |
Frohen Muts nach Dreizehnlinden. |
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40 Jetzo dacht’ er: „Schwere Krankheit |
Schickt der Himmel dem Gesunden |
Zur Genesung und dem Kranken |
Zur Genesung schwere Wunden.“ - |
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41 Pater Bernhard war der sechste, |
Stammend aus den Bruktrerföhren, |
Wo die Menschen Holzschuh tragen |
Und von schwarzem Brot sich nähren: |
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42 Blasse, blonde, stille Menschen, |
Träumerische, ahnungsreiche; |
Nächtlich flattern Geisterschemen |
Durch die Heid’ um Moor und Teiche. |
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43 Von des Vaters Strohdachkotten |
Schied der Knab’ und suchte Ruhe; |
Hathumar, der milde Bischof, |
Gab ihm Trost und Lederschuhe. |
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44 Tankmar hieß der fromme Priester, |
Der dem Eifervollen wehrte; |
Auch in stiller Klosterzelle |
Fehlt’ ihm, was sein Herz begehrte. |
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45 Nach des Himmels goldnen Häusern |
Weint’ er jetzt, wie spät und frühe, |
Seufzend: „Wer doch Taubenflügel |
Der gefangnen Seele liehe!“ - |
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46 Munter schritt ihm nach der kecke |
Sigeward. Des Osnings Hänge |
Rauschten in die Brust des Knaben |
Wilde, wunderliche Sänge. |
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47 Mit den Sängen, mit der Fiedel |
Zog er weit von Gau’n zu Gauen, |
Strich zum Tanz den Freilingstöchtern |
Und den stolzen Edelfrauen. |
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48 Sah am Königshof des großen |
Harun-al-Raschids Gesandten |
An den großen Frankenkönig, |
Den noch größern Elefanten; |
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49 Auch ein Äfflein; dieser Affe |
War der erste Aff’ im Norden: |
Menschheitsväter sind sie später |
Und gemein im Land geworden. |
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50 Saust dem müden Wandervogel |
Quer der Sturmwind ins Gefieder, |
Gern an menschenferner Stelle |
Läßt er sich im Walde nieder. |
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51 Sigeward, der irre Fahrer, |
Flüchtend aus dem Weltgebrause, |
Stellt’ ans Kirchtor Stab und Schuhe |
Und erkor die stille Klause. |
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52 Islands Falke kann die Kappe, |
Ring und Riemen stumm verschmerzen: |
Unaufhaltsam bricht des Liedes |
Sprudel aus Poetenherzen. |
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53 Auch im Kloster, deutsch und römisch, |
Klangen Sigewards Gesänge, |
Doch am hellsten klang der liebe |
Heimatlaut der Osnighänge. |
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54 Jetzo durch den Kopf des Mönches |
Flog ein Reimlein auf die Franken: |
„O wie wird der Prior lachen, |
Und der Abt, wie würd’ er zanken!“ - |
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55 Hatto kam, mit hoher Stirne |
Und mit selig trunknen Blicken: |
Kind des Landes, wo am Hügel |
Rhein und Wein sich freundlich nicken. |
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56 Ivo sagt’ im Scherz, die Mutter |
Hab’ in einer Rebenlaube |
Ihn ernährt mit feurig süßem |
Most der Deidesheimer Traube. |
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57 Früh gewidmet dem Altare, |
Trieb es ihn, zu Dreizehnlinden |
Heil’ger Hymnen und Sequenzen |
Wort und Weise zu erfinden; |
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58 Auch mit wohlgewählten Farben |
In lebendig treuen Bildern |
Auf der Leinwand fromme Sage |
Und Geschichte abzuschildern. |
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59 Heute malt’ er in Gedanken |
Wie sein Held, der Todbesieger, |
Glorreich auferstand und rückwärts |
Taumelten die welschen Krieger. - |
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Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist Friedrich Wilhelm Weber (Frederiko Vilhelmo Vebero, *1813-12-25 - †1894-04.05). |