Poezio
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Verfasser  [Vorname] Titel Sprache Erscheinung Kennung letzte Änderung Ansicht
Heinrich Heine * Libro de l' kantoj, antaŭparolo je la tria eldono Deutsch 1839 Arg-423-215 2004-03-15 16:01 Manfred nur diese entfernen

Heinrich Heine,
Libro de l' kantoj, antaŭparolo je la tria eldono

 
Das ist der alte Märchenwald!
Es duftet die Lindenblüte!
Der wunderbare Mondenglanz
Bezaubert mein Gemüte.
 
Ich ging fürbaß, und wie ich ging,
Erklang es in der Höhe.
Das ist die Nachtigall, sie singt
Von Lieb’ und Liebeswehe.
 
Sie singt von Lieb und Liebesweh,
Von Tränen und von Lachen,
Sie jubelt so traurig, sie schluchzet so froh,
Vergessene Träume erwachen. -
 
Ich ging fürbaß, und wie ich ging,
Da sah ich vor mir liegen,
Auf freiem Platz, ein großes Schloß,
Die Giebel hoch aufstiegen.
 
Verschlossene Fenster, überall
Ein Schweigen und ein Trauern;
Es schien, als wohne der stille Tod
In diesen öden Mauern.
 
Dort vor dem Tor lag eine Sphinx,
Ein Zwitter von Schrecken und Lüsten,
Der Leib und die Tatze wie ein Löw,
Ein Weib an Haupt und Brüsten.
 
Ein schönes Weib! Der weiße Blick,
Er sprach von wildem Begehren;
Die stummen Lippen wölbten sich
Und lächelten stilles Gewähren.
 
Die Nachtigall, sie sang so süß -
Ich konnt nicht widerstehen -
Und als ich küßte das holde Gesicht,
Da war’s um mich geschehen.
 
Lebendig ward das Marmorbild,
der Stein begann zu ächzen -
Sie trank meiner Küsse lodernde Glut
Mit Dürsten und mit Lechzen.
 
Sie trank mir fast den Odem aus -
Und endlich, wollustheischend,
Umschlang sie mich, meinen armen Leib
Mit den Löwentatzen zerfleischend.
 
Entzückende Marter und wonniges Weh!
Der Schmerz wie die Lust unermeßlich!
Derweilen des Mundes Kuß mich beglückt,
Verwunden die Tatzen mich gräßlich.
 
Die Nachtigall sang: »O schöne Sphinx!
O Liebe! was soll es bedeuten,
Daß du vermischest mit Todesqual
All deine Seligkeiten?
 
O schöne Sphinx! O löse mir
Das Rätsel, das wunderbare!
Ich hab darüber nachgedacht
Wohl manche tausen Jahre.«
 
Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist
Heinrich Heine (*1797-12-13 - †1856-02-17),
veröffentlicht 1839.

Das Gedicht befindet sich in Heinrich
Heines Werk „Buch der Lieder“, in der
Vorrede zur dritten Auflage. Der weitere
Text dieser Vorrede lautet:


’Das hätte ich alles sehr gut in guter
Prosa sagen können... Wenn man aber die
alten Gedichte wieder durchliest, um ihnen,
behufs eines erneueten Abdrucks, einige
Nachfeile zu erteilen, dann überschleicht
einen unversehens die klingelnde Gewohnheit
des Reims und Silbenfalls, und siehe! es
sind Verse, womit ich die dritte Auflage
des Buchs der Lieder eröffne. O Phöbus
Apollo! sind diese Verse schlecht, so
wirst du mir gern verzeihen... Denn du
bist ein allwissender Gott, und du weißt
sehr gut, warum ich mich seit so vielen
Jahren nicht mehr vorzugsweise mit Maß
und Gleichklang der Wörter beschäftigen
konnte... Du weißt, warum die Flamme,
die einst in brillanten Feuerwerkspielen
die Welt ergötzte, plötzlich zu weit
ernsteren Bränden verwendet werden
mußte... Du weißt, warum sie jetzt in
schweigender Glut mein Herz verzehrt...
Du verstehst mich, großer schöner Gott,
der du ebenfalls die goldene Leier zuweilen
vertauschtest mit dem starken Bogen und
den tödlichen Pfeilen... Erinnerst du
dich auch noch des Marsyas, den du lebendig
geschunden? Es ist schon lange her, und
ein ähnliches Beispiel tät wieder not....
Du lächelst, o mein ewiger Vater!’

Gechrieben zu Paris, den 20. Februar 1839

Heinrich Heine