Johann Wolfgang von Goethe, Hermann und Dorothea, 9. Gesang |
|
Kalliope. Schicksal und Anteil |
|
Musen, die ihr so gern die herzliche Liebe begünstigt, |
Auf dem Wege bisher den trefflichen Jüngling geleitet, |
An die Brust ihm das Mädchen noch vor der Verlobung gedrückt habt, |
Helfet auch ferner den Bund des lieblichen Paares vollenden, |
|
Teilet die Wolken sogleich, die über ihr Glück sich heraufziehn! |
Aber saget vor allem, was jetzt im Hause geschiehet. |
Ungeduldig betrat die Mutter zum drittenmal wieder |
Schon das Zimmer der Männer, das sorglich erst sie verlassen, |
|
Sprechend vom nahen Gewitter, vom schnellen Verdunkeln des Mondes, |
Dann vom Außenbleiben des Sohns und der Nächte Gefahren, |
Tadelte lebhaft die Freunde, daß, ohne das Mädchen zu sprechen, |
Ohne zu werben für ihn, sie so bald sich vom Jüngling getrennet. |
|
„Mache nicht schlimmer das Übel“, versetzte unmutig der Vater; |
Denn du siehst, wir harren ja selbst und warten des Ausgangs.“ |
Aber gelassen begann der Nachbar sitzend zu sprechen: |
„Immer verdank’ ich es noch in solch unruhiger Stunde |
|
Meinem seligen Vater, der mir, als Knaben, die Wurzel |
Aller Ungeduld entriss, dass auch kein Fäßchen zurückblieb, |
Und ich erwarten lernte sogleich, wie keiner der Weisen. |
„Sagt“, versetzte der Pfarrer, welch Kunststück brauchte der Alte?“ |
|
„Das erzähl’ ich euch gern, denn jeder kann es sich merken“, |
Sagte der Nachbar darauf.“ Als Knabe stand ich am Sonntag |
Ungeduldig einmal, die Kutsche begierig erwartend, |
Die uns sollte hinaus zum Brunnen führen der Linden. |
|
Doch sie kam nicht, ich lief, wie ein Wiesel dahin und dorthin, |
Treppen hinauf und hinab und von dem Fenster zur Türe. |
Meine Hände prickelten mir, ich kratzte die Tische, |
Trappelte stampfend herum, und nahe war mir das Weinen. |
|
Alles sah der gelassene Mann; doch als ich es endlich |
Gar zu töricht betrieb, ergriff er mich ruhig beim Arme, |
Führte zum Fenster mich hin und sprach die bedenklichen Worte: |
‚Siehst du des Tischlers da drüben für heute geschlossene Werkstatt? |
|
Morgen eröffnet er sie, da rühret sich Hobel und Säge, |
Und so geht es von frühe bis abend die fleißigen Stunden. |
Aber bedenke dir dies: der Morgen wird künftig erscheinen, |
Da der Meister sich regt mit allen seinen Gesellen, |
|
Dir den Sarg zu bereiten und schnell und geschickt zu vollenden; |
Und sie tragen das bretterne Haus geschäftig herüber, |
Das den Geduld’gen zuletzt und den Ungeduldigen aufnimmt |
Und gar bald ein drückendes Dach zu tragen bestimmt ist.’ |
|
Alles sah ich sogleich im Geiste wirklich geschehen, |
Sah die Bretter gefügt und die schwarze Farbe bereitet, |
Saß geduldig nunmehr und harrete ruhig der Kutsche. |
Rennen andere nun in zweifelhafter Erwartung |
|
Ungebärdig herum, da muss ich des Sarges gedenken. |
Lächelnd sagte der Pfarrer: „Des Todes rührendes Bild steht |
Nicht als Schrecken dem Weisen und nicht als Ende dem Frommen. |
Jenen drängt es ins Leben zurück und lehret ihn handeln; |
|
Diesem stärkt es, zu künftigem Heil, in Trübsal die Hoffnung; |
Beiden wird zum Leben der Tod. Der Vater mit Unrecht |
Hat dem empfindlichen Knaben den Tod im Tode gewiesen. |
Zeige man doch dem Jüngling des edel reifenden Alters |
|
Wert und dem Alter die Jugend, dass beide des ewigen Kreises |
Sich erfreuen und so sich zum Leben im Leben vollenden!“ |
Aber die Tür ging auf. Es zeigte das herrliche Paar sich, |
Und es erstaunten die Freunde, die liebenden Eltern erstaunten |
|
Über die Bildung der Braut, des Bräutigams Bildung vergleichbar; |
Ja, es schien die Türe zu klein, die hohen Gestalten |
Einzulassen, die nun zusammen betraten die Schwelle. |
Hermann stellte den Eltern sie vor mit fliegenden Worten: |
|
„Hier ist,“ sagt’ er, „ein Mädchen, so wie Ihr im Hause sie wünschet. |
Lieber Vater, empfanget sie gut! Sie verdient es. Und liebe |
Mutter, befragt sie sogleich nach dem ganzen Umfang der Wirtschaft, |
Dass Ihr seht, wie sehr sie verdient, Euch näher zun werden.“ |
|
Eilig führt’ er darauf den trefflichen Pfarrer beiseite, |
Sagte: „Würdiger Herr, nun helft mir aus dieser Besorgnis |
Schnell und löset den Knoten, vor dessen Entwicklung ich schaudre. |
Denn ich habe das Mädchen als meine Braut nicht geworben, |
|
Sondern sie glaubt, als Magd in das Haus zu gehen, und ich fürchte, |
Dass unwillig sie flieht, sobald wir gedenken der Heirat. |
Aber entschieden sei es sogleich! Nicht länger im Irrtum |
Soll sie bleiben, wie ich nicht länger den Zweifel ertrage. |
|
Eilet und zeiget auch hier die Weisheit, die wir verehren!“ |
Und es wendete sich der Geistliche gleich zur Gesellschaft. |
Aber leider getrübt war durch die Rede des Vaters |
Schon die Seele des Mädchens; er hatte die munteren Worte, |
|
Mit behaglicher Art, im guten Sinne gesprochen: |
„Ja, das gefällt mir, mein Kind! Mit Freuden erfahr’ ich, der Sohn hat |
Auch wie der Vater Geschmack, der seinerzeit es gewiesen, |
Immer die Schönste zum Tanze geführt und endlich die Schönste |
|
In sein Haus als Frau sich geholt: das Mütterchen war es. |
Denn an der Braut, die der Mann sich erwählt, lässt gleich sich erkennen,. |
Welches Geistes er ist und ob er sich eigenen Wert fühlt. |
Aber Ihr brauchtet wohl auch nur wenig Zeit zur Entschließung? |
|
Denn mich dünket fürwahr, ihm ist so schwer nicht zu folgen.“ |
Hermann hörte die Worte nur flüchtig, ihm bebten die Glieder |
Innen, und stille war der ganze Kreis nun auf einmal. |
Aber das treffliche Mädchen, von solchen spöttischen Worten, |
|
Wie sie ihr schienen, verletzt und tief in der Seele getroffen, |
Stand, mit fliegender Röte die Wange bis gegen den Nacken |
Übergosssen; doch hielt sie sich an und nahm sich zusammen, |
Sprach zu dem Alten darauf, nicht völlig die Schmerzen verbergend: |
|
„Traun, zu solchem Empfang hat mich der Sohn nicht bereitet, |
Der mir des Vaters Art geschildert, des trefflichen Bürgers! |
Und ich weiß, ich stehe vor Euch, dem gebildeten Manne, |
Der sich klug mit jedem beträgt und gemäß den Personen. |
|
Aber so scheint es, Ihr fühlt nicht Mitleid genug mit der Armen, |
Die nun die Schwelle betritt und die Euch zu dienen bereit ist! |
Denn sonst würdet Ihr nicht mit bitterem Spotte mir zeigen, |
Wie entfernt mein Geschick von Eurem Sohn und von Euch sei. |
|
Freilich tret’ ich nur arm, mit kleinem Bündel ins Haus ein, |
Das, mit allem versehn, die frohen Bewohner gewiss macht; |
Aber ich kenne mich wohl und fühle das ganze Verhältnis. |
Ist es edel, mich gleich mit solchem Spotte zu treffen, |
|
Der auf der Schwelle beinah mich schon aus dem Hause zurücktreibt?“ |
Bang bewegte sich Hermann und winkte dem geistlichen Freunde, |
Dass er ins Mittel sich schlüge, sogleich zu verscheuchen den Irrtum. |
Eilig trat der Kluge heran und schaute des Mädchens |
|
Stillen Verdruss und verhaltenen Schmerz und Tränen im Auge. |
Da befahl ihm sein Geist, nicht gleich die Verwirrung zu lösen, |
Sondern vielmehr das bewegte Gemüt zu prüfen des Mädchens. |
Und er sagte darauf zu ihr mit versuchenden Worten: |
|
„Sicher, du überlegtest nicht wohl, o Mädchen des Auslands, |
Wenn du bei Fremden zu dienen dich allzu eilig entschlossest, |
Was es heiße, das Haus des gebietenden Herrn zu betreten; |
Denn der Handschlag bestimmt das ganze Schicksal des Jahres, |
|
Und gar vieles zu dulden verbindet ein einziges Jawort. |
Sind doch nicht das Schwerste des Diensts die ermüdenden Wege, |
Nicht der bittere Schweiß der ewig drändenden Arbeit; |
Denn mit dem Knechte zugleich bemüht sich der tätige Freie; |
|
Aber zu dulden die Laune des Herrn, wenn er ungerecht tadelt, |
Oder dieses und jenes begehrt, mit sich selber im Zwiespalt, |
Und die Heftigkeit noch der Frauen, die leicht sich entzürnet. |
Mit der Kinder roher und übermütiger Unart: |
|
Das ist schwer zu ertragen und doch die Pflicht zu erfüllen |
Ungesäumt und rasch, und selbst nicht mürrisch zu stocken. |
Doch du scheinst mir dazu nicht geschickt, da die Scherze des Vaters |
Schon dich treffen so tief und doch nichts gewöhnlicher vorkommt, |
|
Als ein Mädchen zu plagen, dass wohl ihr ein Jüngling gefalle.“ |
Also sprach er. Es fühlte die treffende Rede das Mädchen, |
Und sie hielt sich nicht mehr; es zeigten sich ihre Gefühle |
Mächtig, es hob sich die Brust, aus der ein Seufzer hervordrang. |
|
Und sie sagte sogleich mit heiß vergossenen Tränen: |
„O, nie weiß der verständige Mann, der im Schmerz uns zu raten |
Denkt, wie wenig sein Wort, das kalte, die Brust zu befreien |
Je von dem Leiden vermag, das ein hohes Schicksal uns auflegt. |
|
Ihr seid glücklich und froh, wie sollt’ ein Scherz Euch verwunden! |
Doch der Krankende fühlt auch schmerzlich die leise Berührung. |
Nein, es hülfe mir nichts, wenn selbst mir Verstellung gelänge. |
Zeige sich gleich, was später nur tiefere Schmerzen vermehrte |
|
Und mich dränge vielleicht in stillverzehrendes Elend. |
Lasst mich wieder hinweg! Ich darf im Hause nicht bleiben; |
Ich will fort und gehe, die armen Meinen zu suchen, |
Die ich im Unglück verließ, für mich nur das Bessere wählend. |
|
Dies ist mein fester Entschluss, und ich darf Euch darum nun bekennen, |
Was im Herzen sich sonst wohl Jahre hätte verborgen. |
Ja, des Vaters Spott hat tief mich getroffen, nicht weil ich |
Stolz und empfindlich bin, wie es wohl der Magd nicht geziemet, |
|
Sondern weil mir fürwahr im Herzen die Neigung sich regte |
Gegen den Jüngling, der heute mir als ein Erretter erschienen. |
Denn als er erst auf der Straße mich ließ, so war er mir immer |
In Gedanken geblieben: ich dachte des glücklichen Mädchens, |
|
Das er vielleicht schon als Braut im Herzen möchte bewahren. |
Und als ich wieder am Brunnen ihn fand, da freut’ ich mich seines |
Anblicks so sehr, als wär’ mir der Himmlischen einer erschienen, |
Und ich folgt’ ihm so gern, als nun er zur Magd mich geworben. |
|
Doch mir schmeichelte freilich das Herz (ich will es gestehen) |
Auf dem Wege hierher, als könnt’ ich vielleicht ihn verdienen, |
Wenn ich würde des Hauses dereinst unentbehrliche Stütze. |
Aber, ach! Nun seh’ ich zuerst die Gefahren, in die ich |
|
Mich begab, so nah dem still Geliebten zu wohnen. |
Nun erst fühl’ ich, wie weit ein armes Mädchen entfernt ist |
Von dem reicheren Jüngling, und wenn sie die tüchtigste wäre. |
Alles das hab’ ich gesagt, damit Ihr das Herz nicht verkennet, |
|
Das ein Zufall beleidigt, dem ich die Besinnung verdanke. |
Denn das musst’ ich erwarten, die stillen Wünsche verbergend, |
Dass er sich brächte zunächst die Braut zum Hause geführet; |
Und wie hätt’ ich alsdann die heimlichen Schmerzen ertragen! |
|
Glücklich bin ich gewarnt, und glücklich löst das Geheimnis |
Von dem Busen sich los, jetzt, da noch das Übel ist heilbar. |
Aber das sei nun gesagt. Und nun soll im Hause mich länger |
Hier nichts halten, wo ich beschämt und ängstlich nun stehe, |
|
Frei die Neigung bekennend und jene törichte Hoffnung. |
Nicht die Nacht, die breit sich bedeckt mit sinkenden Wolken, |
Nicht der rollende Donner (ich hör’ ihn) soll mich verhindern, |
Nicht des Regens Guss, der draußen gewaltsam herabschlägt, |
|
Noch der sausende Sturm. Das hab’ ich alles ertragen |
Auf der traurigen Flucht und nah am verfolgenden Feinde. |
Und ich gehe nun wieder hinaus, wie ich lange gewohnt bin, |
Von dem Strudel der Zeit ergriffen, von allem zu scheiden. |
|
Lebet wohl! Ich bleibe nicht länger; es ist nun geschehen.“ |
Also sprach sie, sich rasch zurück nach der Türe bewegend, |
Unter dem Arm das Bündelchen noch, das sie brachte, bewahrend. |
Aber die Mutter ergriff mit beiden Armen das Mädchen, |
|
Um den Leib sie fassend, und rief verwundert und staunend: |
„Sag’, was bedeutet mir dies? Und diese vergeblichen Tränen? |
Nein, ich lasse dich nicht! Du bist mir des Sohnes Verlobte. |
Aber der Vater stand mit Widerwillen dagegen, |
|
Auf die Weinende schauend, und sprach die verdrießlichen Worte: |
„Also das ist mir zuletzt für die höchste Nachsicht geworden, |
Dass mir das Unangenehmste geschieht noch zum Schlusse des Tages! |
Denn mir ist unleidlicher nichts als Tränen der Weiber, |
|
Leidenschaftlich Geschrei, das heftig verworren beginnet, |
Was mit ein wenig Vernunft sich ließe gemächlicher schlichten. |
Mir ist lästig, noch länger dies wunderliche Beginnen |
Anzuschauen. Vollendet es selbst! Ich gehe zu Bette.“ |
|
Und er wandte sich schnell und eilte, zur Kammer zu gehen, |
Wo ihm das Eh’bett stand und wo er zu ruhen gewohnt war. |
Aber ihn hielt der Sohn und sagte die flehenden Worte: |
„Vater, eilet nur nicht und zürnt nicht über das Mädchen! |
|
Ich nur habe die Schuld von aller Verwirrung zu tragen, |
Die unerwartet der Freund noch durch Verstellung vermehrt hat. |
Redet, würdiger Herr! Denn Euch vertraut’ ich die Sache. |
Häufet nicht Angst und Verdruss; vollendet lieber das Ganze! |
|
Denn ich möchte so hoch Euch nicht in Zukunft verehren, |
Wenn Ihr Schadenfreude nur übt statt herrlicher Weisheit.“ |
Lächelnd versetzte darauf der würdige Pfarrer und sagte: |
„Welche Klugheit hätte denn wohl das schöne Bekenntnis |
|
Dieser Guten entlockt und uns enthüllt ihr Gemüte? |
Ist nicht die Sorge sogleich dir zur Wonn’ und Freude geworden? |
Rede darum nur selbst! Was bedarf es fremder Erklärung?“ |
Nun trat Hermann hervor und sprach die freundlichen Worte: |
|
„Lass dich die Tränen nicht reun, noch diese flüchtigen Schmerzen; |
Denn sie vollenden mein Glück und, wie ich wünsche, das deine. |
Nicht, das treffliche Mädchen als Magd, die Fremde, zu dingen, |
Kam ich zum Brunnen: ich kam, um deine Liebe zu werben. |
|
Aber ach! Mein schüchterner Blick, er konnte die Neigung |
Deines Herzens nicht sehn; nur Freundlichkeit sah er im Auge, |
Als aus dem Spiegel du ihn des ruhigen Brunnens begrüßtest. |
Dich ins Haus nur zu führen, es war schon die Hälfte des Glückes. |
|
Aber nun vollendest du mir’s! O, sei mir gesegnet! – |
Und es schaute das Mädchen mit tiefer Rührung zum Jüngling |
Und vermied nicht Umarmung und Kuss, den Gipfel der Freude, |
Wenn sie den Liebenden sind die lang’ ersehnte Versichrung |
|
Künftigen Glücks im Leben, das nun ein unendliches scheinet. |
Und den übrigen hatte der Pfarrer alles erkläret. |
Aber das Mädchen kam, vor dem Vater sich herzlich mit Anmut |
Neigend und so ihm die Hand, die zurückgezogene küssend, |
|
Sprach: „Ihr werdet gerecht der Überraschten verzeihen, |
Erst die Tränen des Schmerzes und nun die Tränen der Freude. |
O, vergebt mir jenes Gefühl! Vergebt mir auch dieses |
Und lasst nur mich ins Glück, da neu mir gegönnte, mich finden! |
|
Ja, der erste Verdruss, an dem ich Verworrene schuld war, |
Sei der letzte zugleich! Wozu die Magd sich verpflichtet, |
Treu zu liebendem Dienst, den soll die Tochter Euch leisten.“ |
Und der Vater umarmte sie gleich, die Tränen verbergend. |
|
Traulich kam die Mutter herbei und küsste sie herzlich, |
Schüttelte Hand in Hand; es schwiegen die weinenden Frauen. |
Eilig erfasste darauf der gute, verständige Pfarrherr |
Erst des Vaters Hand und zog ihm vom Finger den Trauring |
|
(Nicht so leicht; er war vom rundlichen Gliede gehalten) |
Nahm den Ring der Mutter darauf und verlobte die Kinder, |
Sprach: „Noch einmal sei der goldenen Reifen Bestimmung, |
Fest ein Band zu knüpfen, das völlig gleiche dem alten. |
|
Dieser Jüngling ist tief von der Liebe zum Mädchen durchdrungen, |
Und das Mädchen gesteht, dass auch ihr der Jüngling erwünscht ist. |
Also verlob’ ich Euch hier und segn’ Euch künftigen Zeiten, |
Mit dem Willen der Eltern und mit dem Zeugnis des Freundes.“ |
|
Und es neigte sich gleich mit Segenswünschen der Nachbar. |
Aber als der geistliche Herr den goldenen Reif nun |
Steckt’ an die Hand des Mädchens, erblickt’ er den andern staunend, |
Den schon Hermann zuvor am Brunnen sorglich betrachtet. |
|
Und er sagte darauf mit freundlich scherzenden Worten: |
„Wie? Du verlobest dich schon zum zweitenmal? Dass nicht der erste |
Bräutigam bei dem Altar sich zeige mit hinderndem Einspruch!“ |
Aber sie sagte darauf: „O, lasst mich dieser Erinn’rung |
|
Einen Augenblick weihen! Denn wohl verdient sie der Gute, |
Der mir ihn scheidend gab und nicht zur Heimat zurückkam. |
Alles sah er voraus, als rasch die Liebe der Freiheit, |
Als ihn die Lust, im neu veränderten Wesen zu wirken, |
|
Trieb, nach Paris zu gehen, dahin, wo er Kerker und Tod fand. |
‚Lebe glücklich!’ sagt’ er, ‚Ich gehe; denn alles bewegt sich |
Jetzt auf Erden einmal, es scheint sich alles zu trennen. |
Grundgesetze lösen sich auf der festesten Staaten, |
|
Und es löst der Besitz sich los vom alten Besitzer, |
Freund löst sich von Freund: so löst sich Liebe von Liebe. |
Ich verlasse dich hier; und wo ich jemals dich wieder |
Finde – wer weiß es? Vielleicht sind diese Gespräche die letzten. |
|
Nur ein Fremdling, sagt man mit Recht, ist der Mensch hier auf Erden; |
Mehr ein Fremdling als jemals ist nun ein jeder geworden. |
Uns gehört der Boden nicht mehr, es wandern die Schätze; |
Gold und Silber schmilzt aus den alten heiligen Formen; |
|
Alles regt sich, als wollte die Welt, die gestaltete rückwärts |
Lösen in Chaos und Nacht sich auf und neu sich gestalten. |
Du bewahrst mir dein Herz; und finden dereinst wir uns wieder |
Über den Trümmern der Welt, so sind wir erneute Geschöpfe, |
|
Umgebildet und frei und unabhängig vom Schicksal. |
Denn was fesselte den, der solche Tage durchlebt hat! |
Aber soll es nicht sein, dass je wir, aus diesen Gefahren |
Glücklich entronnen, uns einst mit Freuden wieder umfangen, |
|
O, so erhalte mein schwebendes Bild vor deinen Gedanken, |
Dass du mit gleichem Mute zu Glück und Unglück bereit seist! |
Locket neue Wohnung dich an und neue Verbindung, |
So genieße mit Dank, was dann dir das Schicksal bereitet. |
|
Liebe die Liebenden rein und halte dem Guten dich dankbar. |
Aber dann auch setze nur leicht den beweglichen Fuß auf, |
Denn es lauert der doppelte Schmerz des neuen Verlustes. |
Heilig sei dir der Tag! Doch schätze das Leben nicht höher |
|
Als ein anderes Gut, und alle Güter sind trüglich.’ |
Also sprach er; und nie erschien der Edle mir wieder. |
Alles verlor ich indes, und tausendmal dacht’ ich der Warnung. |
Nun auch denk’ ich des Worts, da schön mir die Liebe das Glück hier |
|
Neu bereitet und mir die herrlichsten Hoffnungen aufschließt. |
O, verzeih, mein trefflicher Freund, dass ich selbst an dem Arm dich |
Haltend, bebe! So scheint dem endlich gelandeten Schiffer |
Auch der sicherste Grund des festesten Bodens zu schwanken.“ |
|
Also sprach sie und steckte die Ringe nebeneinander. |
Aber der Bräutigam sprach mit edler männlicher Rührung: |
„Desto fester sei bei der allgemeinen Erschütt’rung, |
Dorothea, der Bund! Wir wollen halten und dauern, |
|
Fest uns halten und fest der schönen Güter Besitztum. |
Denn der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch schwankend gesinnt ist, |
Der vermehrt das Übel und breitet es weiter und weiter; |
Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich. |
|
Nicht dem Deutschen geziemt es, die fürchterliche Bewegung |
Fortzuleiten und auch zu wanken hierhin und dorthin. |
Dies ist unser! So lass es uns sagen und so es behaupten! |
Denn es werden noch stets die entschlossenen Völker gepriesen, |
|
Die für Gott und Gesetz, für Eltern, Weiber und Kinder |
Stritten und gegen den Feind zusammenstehend erlagen. |
Du bist mein; und nun ist das Meine meiner als jemals. |
Nicht mit Kummer will ich’s bewahren und sorgend genießen, |
|
Sondern mit Mut und Kraft. Und drohen diesmal die Feinde |
Oder künftig, so rüste mich selbst und reiche die Waffen. |
Weiß ich durch dich nur versorgt das Haus und die liebenden Eltern, |
O. so stellt sich die Brust dem Feinde sicher entgegen. |
|
Und gedächte jeder wie ich, so stünde die Macht auf |
Gegen die Macht, und wir erfreuten uns alle des Friedens." |
|
Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist Johann Wolfgang von Goethe (*1749-08-28 - †1832-03-22). |