Annette von Droste-Hülshoff, Der Knabe im Moor |
|
O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn, |
Wenn es wimmelt vom Heiderauche, |
Sich wie Phantome die Dünste drehn |
Und die Ranke häkelt am Strauche. |
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, |
Wenn aus der Spalte es zischt und singt. |
O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn, |
Wenn das Röhricht knistert im Hauche. |
|
Fest hält die Fibel das zitternde Kind |
Und rennt, als ob man es jage; |
Hohl über die Fläche sauset der Wind - |
Was raschelt da drüben am Hage? |
Das ist der gespenstische Gräberknecht, |
Der dem Meister die besten Torfe verzecht; |
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind! |
Hinducket das Knäblein zage. |
|
Vom Ufer starret Gestumpf hervor, |
Unheimlich nicket die Föhre, |
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr, |
Durch Riesenhalme wie Speere; |
Und wie es rieselt und knittert darin! |
Das ist die unselige Spinnerin, |
Das ist die gebannte Spinnlenor’, |
Die den Haspel dreht im Geröhre. |
|
Voran, voran, nur immer im Lauf, |
Voran, als woll es ihn holen! |
Vor seinem Fuße brodelt es auf, |
Es pfeift ihm unter den Sohlen |
Wie eine gespenstige Melodei; |
Das ist der Geigemann ungetreu, |
Das ist der diebische Fiedler Knauf, |
Der den Hochzeitsteller gestohlen! |
|
Da birst das Moor, ein Seufzer geht |
Hervor aus der klaffenden Höhle; |
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret: |
„Ho,ho, meine arme Seele!“ |
Der Knabe springt wie ein wundes Reh; |
Wär nicht ein Schutzengel in seiner Näh, |
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät |
Ein Gräber im Moorgeschwele. |
|
Da mählich gründet der Boden sich, |
Und drüben neben der Weide, |
Die Lampe flimmert so heimatlich, |
Der Knabe steht an der Scheide. |
Tief atmet er auf, zum Moor zurück |
Noch immer wirft er den scheuen Blick. |
Ja, im Geröhre war’s fürchterlich, |
O schaurig war’s in der Heide! |
|
Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist Annette von Droste-Hülshoff (*1797-01-10 - †1848-05-24). |