Annette von Droste-Hülshoff, Am Turme |
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Ich steh' auf hohem Balkone am Turm, |
Umstrichen vom schreienden Stare, |
Und lass' gleich einer Mänade im Sturm |
Mir wühlen im flatternden Haare; |
O wilder Geselle, o toller Fant, |
Ich möchte dich kräftig umschlingen, |
Und Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand |
Auf Tod und Leben dann ringen! |
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Und drunten seh' ich am Strand so frisch |
Wie spielende Doggen, die Wellen |
Sich tummeln rings mit Gekläff und Gezisch, |
Und glänzende Flocken schnellen. |
O, springen möcht' ich hinein alsbald, |
Recht in die tobende Meute, |
Und jagen durch den korallenen Wald |
Das Walross, die lustige Beute! |
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Und drüben seh' ich ein Wimpel wehn |
So keck wie eine Standarte, |
Seh auf und nieder den Kiel sich drehn |
Von meiner luftigen Warte; |
O, sitzen möcht' ich im kämpfenden Schiff, |
Das Steuerruder ergreifen, |
Und zischend über das brandende Riff |
Wie eine Seemöwe streifen. |
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Wär' ich ein Jäger auf freier Flur, |
Ein Stück nur von einem Soldaten, |
Wär' ich ein Mann doch mindestens nur, |
So würde der Himmel mir raten; |
Nun muss ich sitzen so fein und klar, |
Gleich einem artigen Kinde, |
Und darf nur heimlich lösen mein Haar, |
Und lassen es flattern im Winde. |
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Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist Annette von Droste-Hülshoff (*1797-01-10 - †1848-05-24). |