Heinrich Heine, Buch der Lieder, Traumbilder VI |
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Im süßen Traum, bei stiller Nacht, |
Da kam zu mir, mit Zaubermacht, |
Mit Zaubermacht, die Liebste mein, |
Sie kam zu mir ins Kämmerlein. |
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Ich schau sie an, das holde Bild! |
Ich schau sie an, sie lächelt mild, |
Und lächelt, bis das Herz mir schwoll, |
Und stürmisch kühn das Wort entquoll: |
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»Nimm hin, nimm alles was ich hab, |
Mein Liebstes tret ich gern dir ab, |
Dürft ich dafür dein Buhle sein, |
Von Mitternacht bis Hahnenschrein.« |
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Da staunt' mich an gar seltsamlich, |
So lieb, so weh und inniglich, |
Und sprach zu mir die schöne Maid: |
O, gib mir deine Seligkeit! |
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»Mein Leben süß, mein junges Blut, |
Gäb ich, mit Freud und wohlgemut, |
Für dich, o Mädchen engelgleich – |
Doch nimmermehr das Himmelreich.« |
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Wohl braust hervor mein rasches Wort, |
Doch blühet schöner immerfort, |
Und immer spricht die schöne Maid: |
O, gib mir deine Seligkeit! |
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Dumpf dröhnt dies Wort mir ins Gehör, |
Und schleudert mir ein Glutenmeer |
Wohl in der Seele tiefsten Raum; |
Ich atme schwer, ich atme kaum. |
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Das waren weiße Engelein, |
Umglänzt von goldnem Glorienschein; |
Nun aber stürmte wild herauf |
Ein greulich schwarzer Koboldhauf. |
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Die rangen mit den Engelein, |
Und drängten fort die Engelein; |
Und endlich auch die schwarze Schar |
In Nebelduft zerronnen war. – |
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Ich aber wollt in Lust vergehn, |
Ich hielt im Arm mein Liebchen schön; |
Sie schmiegt sich an mich wie ein Reh, |
Doch weint sie auch mit bitterm Weh. |
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Feins Liebchen weint; ich weiß warum, |
Und küß ihr Rosenmündlein stumm. – |
»O still', feins Lieb, die Tränenflut, |
Ergib dich meiner Liebesglut!« |
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»Ergib dich meiner Liebesglut –« |
Da plötzlich starrt zu Eis mein Blut; |
Laut bebet auf der Erde Grund, |
Und öffnet gähnend sich ein Schlund. |
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Und aus dem schwarzen Schlunde steigt |
Die schwarze Schar; – feins Lieb erbleicht! |
Aus meinen Armen schwand feins Lieb; |
Ich ganz alleine stehen blieb. |
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Da tanzt im Kreise wunderbar, |
Um mich herum, die schwarze Schar, |
Und drängt heran, erfaßt mich bald, |
Und gellend Hohngelächter schallt. |
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Und immer enger wird der Kreis, |
Und immer summt die Schauerweis: |
Du gabest hin die Seligkeit, |
Gehörst uns nun in Ewigkeit! |
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Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist Heinrich Heine (*1797-12-13 - †1856-02-17). |