Friedrich Wilhelm Weber, Dreizehnlinden, Kapitel 11, Vogelfrei |
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1 “Fertig!” sprach de Meister Fulko; |
“Hildegunden, deiner Frauen, |
Kleine Imma, liebe Tochter, |
Bring das Schloß, sie kann ihm trauen. |
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2 Wieland kaum, der Schmiedekönig, |
Wüßt’ es künstlicher zu machen, |
Und im Berg, die stillen Leute, |
Und - du Kobold, laß das Lachen! |
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3 Eggi, schon den ganzen Morgen |
Greinst du mit vergnügtem Blicke, |
Gleich als wär’ ein feistes Wildbret |
Dir gegangen in die Stricke. |
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4 Mach dich fort, du brauner Schlingel, |
Sieh mir fleißig nach den Schafen, |
Daß sie nicht zu Schaden gehen |
Auf dem Winterfeld des Grafen!” |
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5 Eggi, in der Tür sich wendend: |
“Meister Fulk, ihr habt’s geraten: |
Gestern war’s; ein Edelmarder, |
Und Herr Gero will ihn braten.” |
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6 “Geh, du Gauch! - Er grollt dem Falken”, |
Sprach der Schmied; “wohl mag er lästern; |
Härter als uns je der Franke |
Schlug der Sachs den Sachsen gestern. |
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7 Wie man einen wutverdächt’gen |
Hund erhängt am nächsten Aste, |
Ward ein Edler preisgegeben, |
Weil ein Bösewicht ihn haßte. |
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8 Stolzer Falk! Vom Wald zur Weser |
Wird kein treures Herz gefunden! - |
Doch da ist er selbst: - o Imma, |
Wie verhärmt in wenig Stunden!” |
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9 Elmar kam; der greise Diethelm |
Schritt ihm nach mit finsterm Mute; - |
Zorn und Tränen in den Augen, |
Führt’ er eine weiße Stute. |
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10 Sprach der Falk: “Des letzten Dienstes |
Meister Fulko, magst du pflegen: |
Spute dich, mit Weiheworten |
Feste Eisen aufzulegen. |
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11 Spute dich, du kluger Meister, |
Feste Eisen, gute Eisen |
Aufzulegen meinem Tiere, |
Denn wir haben weit zu reisen. |
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12 Weit zu reisen, Meister Fulko! |
Drum von all den edlen Rossen |
Nicht das beste, doch das treuste |
Wählt’ ich mir zum Fahrtgenossen.” |
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13 Stumm und traurig sah der Alte |
Auf den Mann und auf das Fohlen; |
Dann, sein Werkgerät ergreifend, |
Fuhr er durch der Esse Kohlen; |
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14 Und mit zornig wüsten Schlägen |
Schlug er, daß der Amboß stöhnte, |
Schlug er, daß die Balken sangen |
Und das Grundgemäuer dröhnte. |
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15 Flammen stoben, Funken spritzten; |
Härter hieb der Schwerergrimmte, |
Bis des Erzes glühe Stange |
Wie ein Wurm sich wand und krümmte. |
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16 Plötzlich aber sank die Rechte, |
Und, erfaßt von wildem Jammer, |
Warf er auf den Herd das Eisen, |
In den Winkel Zang’ und Hammer. |
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17 “Nein, ich kann, ich kann nicht, Elmar; |
Nein, du kannst, du kannst nich gehen! |
Um den Wiedehopf, den Gecken, |
Sollen wir dich scheiden sehen? |
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18 Sind noch Götter? Unsre Götter |
Zürnen, weil wir sie verlassen, |
Und der weiße Gott der Christen, |
Den wir hassen, muß uns hassen. |
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19 Büßung heischt der große Frevel! |
Erst versöhnt an heil’gen Stätten, |
Muß das Volk die Wehr ergreifen, |
Und - der Alte wird uns retten. |
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20 Letzte Nacht in Sturmesbrausen |
Fuhr er zürnend her vom Norden: |
Sollt’ er nicht? Warum, wir Toren, |
Sind wir untreu ihm geworden? |
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21 Elmar, bleib! Geh vor, wir folgen; |
Zieh dein Schwert: wir werden siegen! |
Einmal noch im roten Banner |
Laß das weiße Fohlen fliegen! |
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22 Elmar, bleib! Was dir geschehen, |
Schande ist es, Schmach uns allen; |
Gestern, an der Linde, hörtest |
Du den Zuruf nicht erschallen? |
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23 Wir, der Werkmann und der Bauer, |
Stehn zu dir, den Schimpf zu rächen: |
Hünen, die wie Haferhalme |
Frankenspeere spielend brechen; |
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24 Harte Hände, die in Scherben |
Schild und Panzerrock zerschlagen; |
Felsennacken, die den Reiter |
Samt dem Roß zum Sumpfe tragen! |
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25 Und die Gegner? Immer lustig, |
Reigenspringer, immer heiter, |
Lockenkräusler, Salbenköche, |
Zwölf ein Dutzend - und nichts weiter. |
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26 Welch Geziefer! Viel zu lange |
Litten wir’s; auf, uns zu wehren! |
Klirrt das Land, der graue Kämpe, |
Widukind, er wird es hören. |
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27 Täuschung ist es, Frankenfabel, |
Daß der Held, im Kampf ermattet, |
sei verzagt zu Kreuz gekrochen |
Und im Wessagau bestattet. |
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28 Niederwärts im Weserwalde |
Schläft er nur im hohlen Steine, |
Schlachtbereit mit Roß und Mannen, |
Harrend, daß sein Tag erscheine. |
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29 Oft, wenn nachts die Wetter tosen, |
Weckt er seine Schwertgesellen: |
Riefen nicht des Waldes Wipfel? |
Mahnten nicht des Stromes Wellen? |
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30 Dann hinauf die blaue Weser, |
Dann hinab die blanke Lippe, |
Und 'zu früh, zu früh' erseufzend |
Kehrt er heim zur düstern Klippe. |
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31 Falk, mir deucht, jetzt ist die Stunde. |
Hebt sich nur mit Waffenschalle |
Reisig Volk in allen Gauen, |
Kommt er und befreit uns alle. |
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32 Heergeräte weiß ich liegen, |
Kunstgebilde kluger Zwerge, |
Stahlgewand und alte Schwerter |
Aufgehäuft im nahen Berge. |
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33 Laß das Bauernhorn erklingen! |
Folgen wird dem Racherufe |
All das Volk im Lederschurze, |
All das Volk von Kamp und Hufe. |
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34 Zündend, schnell wie Heidefeuer, |
Wird der Schrei die Welt durchfahren: |
Ja, sie kommen, traun, sie kommen, |
Schildgenossen, Schar auf Scharen! |
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35 Schlechte Menschen, schlechte Zeiten: |
Allen wird, was sie verdienen, |
Und die Freiheit nur den Wackern, |
Die der Freiheit sich erkühnen. |
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36 Können wir’s? Ich sah’s am Süntel; |
Zu uns stand der alte Woden: |
Solch ein Tag! Des Blutes Ströme |
Rissen Furchen in den Boden. |
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37 Nur ans Werk! Erst recht im Zorne, |
Werden wir die Welschen schlagen, |
Wie am Osning sie den Vätern |
Und am Süntel uns erlagen.” - |
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38 Elmar sprach: “Welch glühe Kohlen |
Fulk, im alten Kopf dir brennen! |
Schnee auf einem Feuerberge |
Ist dein Silberhaar zu nennen. |
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39 Trauter Fulk, die Welt ist kühler! |
Machst du heiß das Blut der Schnecke? |
Glaubst du, das ein Ruf die Träumer |
Rasch vom Rat zur Tat erwecke? |
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40 Zwar die Menge grollt, sie hätte |
Lust zum Zausen und zum Zerren, |
Doch erschlafft auf ihren Höfen |
Dehnen sich die Edelherren. |
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41 Ihren Mut erprobt ich gestern! |
Als ich stand in Not und Fährde, |
Zagten sie, wie vor des Waldes |
Grauhund zagt die Lämmerherde. |
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42 Blöde, die das Herz nicht hatten, |
Eine Hand für mich zu heben, |
Werden die zum Schwerte greifen, |
Wenn es geht auf Tod und Leben? |
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43 Zwischen Mögen und Vollbringen |
Liegt bei uns des Zauderns Öde |
Und ein Sumpf; ein Tatenmörder |
Ist der Sumpf der deutschen Rede. |
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44 Fulk, wohl mag dein Amboß ächzen |
Unter schweren Hammerschlägen; |
Dennoch hält er still; wir murren, |
Ohne Faust und Fuß zu regen. |
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45 Pochten alle Männerherzen |
Heiß wie deines, warm wie meines, |
Kein vermeßner Frankensporen |
Klirrte noch diesseits des Rheines: |
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46 O wir haben harte Hände, |
Unser Leib ist Wall und Mauer; |
Doch wir schleichen träg zu Werke, |
Und im Werke fehlt die Dauer. |
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47 Nicht zum Kriege, nur zum Kampfe |
Zieht der Sachse; schnell zu schlagen, |
Ist sein Sinn, um heimzukehren |
Und daheim den Hirsch zu jagen. |
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48 Länger lag er nie zu Felde, |
Als er nicht den Pfühl entbehrte, |
Als im Sack der Haferkuchen |
Und der Trunk im Lägel währte. |
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49 Schelten würd’ ich, spräch ein Fremder, |
Was ich scheltend von uns spreche: |
Nicht des Feindes Macht, uns beugte |
Göttergrimm und eigne Schwäche. |
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50 Darum hat der Lockenkräusler |
Zehnmal uns im Kampf bezwungen, |
Darum hat der Reigenspringer |
Auf den Boden uns gerungen. |
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51 Fragst du, was ich möchte? Waten, |
Waten bis ans Knie im Blute! |
Was ich muß? Zu hoffen raten, |
Ob mit Grimm und finsterm Mute. |
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52 Erzbewehrt an Ems und Lippe |
Harrt der Feind in hellen Haufen, |
Fertig zu willkommner Arbeit, |
Wie bei Verden - uns zu taufen. |
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53 Schon zuviel ist edlen Blutes, |
Warmen Bauernbluts geflossen, |
Fruchtlos; schon zuviel der Äcker |
Sind zerstampft von fremden Rossen. |
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54 Sollen wieder Hof und Hütte |
Glühn in roten Flammensäulen? |
Soll der hagre Wolf, der Hunger, |
Wieder durch die Dörfer heulen? |
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55 Dreister Griff gebührt dem Dreisten, |
Doch ins Tolle stürmt ein Toller; |
Berserkbrauch ist, nackt zu kämpfen, |
Klugen Manns, in Helm und Koller. |
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56 Mag der Rat der Götter walten, |
Menschenwitz kann wenig frommen: |
Fulk, das eine ist gewesen, |
Und das andre seh’ ich kommen. |
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57 Laß mich gehn! - Von Hof und Heimat |
Blieb mir heut am Scheidetage |
Nichts - als eine Handvoll Erde, |
Die ich auf dem Herzen trage. |
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58 Fulk, nun tu, was ich gebeten!” - |
Auf den Wangen Leichenblässe |
Stand der Schmied, und schmerzlich stöhnend |
Trat er langsam an die Esse; |
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59 Pochte, hielt und pochte wieder; |
Endlich schritt er aus der Pforte, |
Und die Eisen unterschlagend, |
Raunt’ er leise Wünschelworte: |
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60 “Frommes Rößlein, kluges Rößlein, |
Eisen vier will ich dir legen, |
Feste Eisen, gute Eisen: |
Das ist Donars Hammersegen! |
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61 Geh zu Holz und geh zu Hause, |
Immer geh auf graden Wegen; |
Weit, was unhold ist, entweiche: |
Das ist Donars Hammersegen! |
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62 Ward dir Weh und ward dir Wunde, |
Blut zu Blute soll sich regen, |
Bein zu Beine soll sich fügen: |
Das ist Donars Hammersegen! |
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63 Trag den Reiter, treues Rößlein, |
Allem Glücke gern entgegen, |
Trag ihn hin und trag ihn wieder: |
Das ist Donars Hammersegen! |
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64 Falk, nun fahre!” - Drauf der andre: |
“Habe Dank, du frommer Meister! |
Bürgen sind mir deine Wünsche, |
Mit mir fahren gute Geister. - |
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65 Nun hellauf, du alter Knabe, |
Diethelm, komm, nimm beide Hände, |
Beide und die letzten Grüße, |
Die dem Heimatland ich sende. |
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66 Weinst du gar? Es ist so bitter, |
Alte Augen weinen sehen! |
Falkenart ist starkes Mutes, |
Falkenart - jetzt mußt gehen! ) |
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67 Was der Mutter du verheißen, |
Hast du brav und treu gehalten. - |
Mit mir willst du? Soll der Franke |
Auf dem Hof nach Willkür schalten? |
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68 Weißt du doch, zu Königseigen |
Ist das Falkennest gesprochen |
Und der kahle Königserbe |
Morgen schon hineingekrochen. |
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69 Laß den greisen Kopf nicht sinken, |
Diethelm, trockne deine Zähren; |
Bleib und tu, was recht und hoffe, |
Wie ich hoffe, heimzukehren! - |
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70 Imma, deiner holden Herrin |
Neig’ ich mich, sie ist mir teuer; |
Sag ihr, - nein, nichts sag ihr, Immaĉ, |
Bin ich doch ein Vogelfreier! |
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71 Nimm das Schwert, den Ring hier, Imma; |
Sag, der Ring sei zum Gedenken, |
Sag, das Schwert sei zum Bewahren, |
Will ein Gott mir Heimkehr schenken! |
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72 Jetzt von hinnen!” - Durch den Flieder, |
Der das Rasendach beschirmte, |
Fuhr der Wind; die letzten Beeren |
Fielen, und das Laub verstürmte. |
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73 Wo am Waldesrand der Tannen |
Dunkle Äste talwärts schwanken, |
Stand verhohlen eine Jungfrau |
Zwischen Farn und Brombeerranken, |
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74 Regungslos, gekreuzt die Hände, |
Vorgebeugt, in tiefem Sinne; |
Tropfen wehten, kalte Tropfen |
Auf ihr Kleid von weißem Linnen. |
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75 War sie aus dem Sarg gestiegen? |
War die stille, marmorbleiche |
Von die Armen, die da wandern, |
Friedlos selbst im Friedensreiche? - |
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76 Starren Auges sah sie nieder |
Nach der Schmied’ am Erlenhage; |
Wirbelnd in die grauen Lüfte |
Stieg der Rauch wie alle Tage; |
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77 Und wie alle Tage rollten |
Oben dunkle Wolkenbälle, |
Und wie alle Tage rauschte |
Durch das Tal des Baches Welle; |
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78 Und wie alle Tage dröhnten |
Hammerschläge weit im Grunde; |
Doch - jetzt fuhr sie auf, ein kurzer |
Jammerschrei erstarb im Munde. |
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79 Vor der Schmiede Frau’n und Männer; |
Einer hielt ein Roß am Zügel, |
Einer nahm es, und hindannen |
Ritt er sacht am Heidehügel, |
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80 Einsam, waldwärts: Busch und Bäume |
Sah sie hinter ihm sich schließen; |
Stumm, den Finger an der Lippe, |
Winkte sie ein letztes Grüßen. |
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81 Dann, die Hände hochgehoben, |
Sang sie leise: “Selig fahre, |
Der da fährt, des Herzens stiller |
Trautgesell seit manchem Jahre! |
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82 Wo er walle, wo er wohne, |
Weile Friede, wie da weilte, |
Da die Reine des genesen, |
Der der Welt die Wunden heilte. |
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83 Der der Welt die Wunden heilte, |
Möge sein in Gnaden pflegen, |
Mög’ im fernen fremden Lande |
Ihn geleiten und umhegen; |
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84 Ihn umhegen und geleiten, |
Daß er gute Herberg finde; |
All die Hüterschar des Himmels |
Sei ihm holdes Fahrtgesinde; |
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85 Sei ihm treuer Weggenosse, |
Der Tobias’ Sohn gen Meden |
Und zurück zu Herd und Hufe |
Führte durch Gebirg und Öden! |
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86 Und du Hochgebenedeite, |
Die zu helfen nie versagte, |
Wenn ein Herz voll Harm und Sorge |
All sein stummes Weh dir klagte: |
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87 Hehre Frau, zu deinen Füßen |
Weint die Jungfrau: selig fahre, |
Der da fährt, des Herzens stiller |
Trautgesell seit manchem Jahre!” - |
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88 Kraftlos sank sie auf die Knie, |
Tränen, bittre Tränen rannen, |
Und des Herbstes kühle Schauer |
Rauschten durch die finstern Tannen. - |
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89 Geh nun heim, du Kummervolle, |
Deine Bitten, dein Klagen |
Wird ein kleiner, lichter Engel |
Weinend in den Himmel tragen. |
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90 Tiefer Wald! Von Stamm zu Stamme |
Wob die Dämmrung graue Fäden, |
Und die Bäume und die Tiere |
Wechselten geheime Reden. |
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Verfasser dieses deutschen Gedichtes ist Friedrich Wilhelm Weber (Frederiko Vilhelmo Vebero, *1813-12-25 - †1894-04.05). |