Friedrich Wilhelm Weber, Dreizehnlinden, Kapitel 6, Das Erntefest |
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1 Heil dem Lenz mit seinen Blumen, |
Heil dem Herbst mit seinen Ähren! |
Lenz ist liebliches Verheißen, |
Herbst ist freundliches Gewähren. - |
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2 Auf des Daches First versammelt, |
Mahnen zugbereit die Schwalben: |
„Rüste, Wirt, dich vor dem Winter, |
Denn das Laub beginnt zu falben. |
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3 Bleiben mußt du, wenn wir flüchten; |
Sieh dich vor, es mag dir frommen, |
Daß wir alles wohlbehalten |
Finden, wenn wir wiederkommen. |
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4 Hüte dich vor Trug und Tücke, |
Dunkles brau’n die dunkeln Nächte; |
Arges droht dem Herrn des Hofes |
Oft vom Freunde, oft vom Knechte. |
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5 Hüte deines Hauses Giebel, |
Hüte deines Herdes Kohlen; |
Winterdach ist doppelt nütze; |
Habe Dank - und Gott befohlen!“ |
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6 Auf dem Feld zu Bodinkthorpe |
War die Sichel längst verklungen, |
Um den Rest der Haferwellen |
Ward das Weidenband geschlungen. |
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7 Isenhard, der alte Meier, |
Rieb vergnügt die braunen Hände: |
„Kinder, seht dort kommt der Wagen; |
Gott sei Dank, wir sind zu Ende! |
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8 Seht, dort kommt der letzte Wagen: |
Aiga mit dem bunten Kranze, |
Kord, der Fiedler, Dierk, der Pfeifer, |
Laden uns zum Erntetanze. |
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9 Knechte, seid nich allzu eifrig, |
Jedes Hälmlein heimzuholen: |
Laßt der Flur die letzte Garbe |
Für des alten Wodan Fohlen; |
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10 Laßt dem Baum den letzten Apfel |
Für den alten Wodan selber! |
Voller trägt aufs Jahr der Wipfel, |
Und der Weizen färbt sich gelber. |
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11 Aiga, rümpfe nicht das Näschen! |
Löblich ist der Brauch der Alten; |
Auf dem Hof zu Bodinkthorpe |
Soll man ihn in Ehren halten.“ |
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12 Aiga sprach: „Der Vogelzehent |
Ist es, den wir gern ertragen, |
Daß uns nicht die kleinen Bettler |
Vor der Himmelstür verklagen.“ |
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13 Sprach der Alte: „Kleine Aiga, |
Kluge Aiga, Preis und Ehre |
Deinem Vater, würd’ ich sagen, |
Wenn ich nicht dein Vater wäre. |
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14 Denk an deine Sprüche, Aiga, |
Daß die Worte fein sich schicken |
Und der Graf und Hildegunde |
Sich erfreun und Beifall nicken. |
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15 Vorwärts, Gerd!“ - Der Wagen knarrte, |
Obenauf im Mägdekreise |
Dierk und Kord, und laut und lustig |
Klang des Stoppelliedes Weise. |
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16 Peitschenknall und Freudenjauchzen; |
Munter folgten alle Schnitter, |
Nur der kahle Grimbart hinkte |
Zögernd nach und lachte bitter: |
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17 „Schwarzer Graf, du magst dich hüten, |
Hast mich einen Dieb gescholten |
Um die Waben, um die Gerste: |
Schwarzer Graf, es wird vergolten!“ |
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18 Auf dem Hof zu Bodinkthorpe |
Stand der Graf im Ring der Gäste, |
Edler Herrn und freier Bauern, |
Die er lud zum Erntefeste: |
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19 Bodo, zubenannt der Milde, |
Hergeschickt vom Karl, dem alten |
Frankenkönig, um im grünen |
Nethegau des Rechts zu walten. |
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20 Neidern hieß er noch der Schwarze, |
Streute gleich in seine Locken |
Lange schon unholder Winter |
Silberreif und weiße Flocken. |
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21 Eine Ros’ im wilden Walde, |
Lieblich ihm zur Seite blühte |
Hildegund, der heimgegangnen |
Mutter gleich an Huld und Güte. |
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22 Gleich der heimgegangnen Mutter |
Schaltete sie auf dem Hofe; |
Emsig durch Gemach und Garten |
Schlüpfte Imma, ihre Zofe. - |
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23 Wo sich grün umrankt der Vorbau |
Wölbte an des Hauses Pforte, |
Tauschten die entbotnen Männer |
Mit dem Grafen muntre Worte. |
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24 Badurad, der gute Bischof, |
Pries dem Wirt die Paderquelle, |
Abt Warin von Dreizehnlinden |
Seiner Weser blaue Welle. |
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25 Wichtruds Sohn, der fromme Meinulf, |
Taufkind Karls, des großen Franken, |
Lauschte lächelnd; Klosterhallen |
Baut’ er selber in Gedanken. |
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26 Dodiko vom Eberbronnen, |
Drehend seines Bartes Spitze, |
Fragt Thietmar, seinen Vetter, |
Wie der Scharlachrock ihm sitze. |
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27 Rab, der greise Eschenburger, |
Sprach, die Hand am breiten Messer: |
„Deinem Vater, kleiner Dodo, |
Saß das Wams von Leder besser!“ |
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28 Wolf und Rolf vom Turm erzählten |
laut ihr letztes Jagdbegegnis; |
Theudebert, der Freigeseßne, |
Rühmte seiner Flur Erträgnis. |
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29 Elmar, Herr vom Habichtshofe, |
Trat zum Bischof, seinem Öhmen; |
Freundlich war er, doch er wollte |
Nicht die Hand des Jünglings nehmen. |
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30 Im Gesicht des Heidenmannes |
Starb ein Lächeln, trüb und schmerzlich; |
Werinhard, der Freiling, drückte |
Ihm die Linke fest und herzlich. |
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31 Gero sah’s, der gelbe Franke, |
Jüngst gesandt als Königsbote, |
Der dem Gau mit neuen Diensten, |
Neuem Zins und Zehnten drohte. |
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32 Herbe war er, doch die Rede |
Wußt’ er schmeichelnd zu versüßen, |
Wenn er plaudernd in der Halle |
Saß zu Hildegundens Füßen. |
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33 Schweigend hört’ ihn stets die Jungfrau, |
Ob er scherzte, ob er klagte; |
Spöttisch krümmt’ er seine Lippe, |
Als er jetzt zu Elmar sagte: |
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34 „Stolzer Falk, ein krankes Küchlein |
Schleppst du heut die lahmen Flügel: |
Anders sträubtest du die Federn |
Anderswo - auf braunem Hügel! |
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35 Stolzer Falk, du krankes Küchlein, |
Hat mit ihrem Zaubersude |
Dich berückt dein holdes Liebchen, |
Swanahild, die alte Drude, |
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36 Wenn sie ächzt und Sprüche murmelt |
Und, bekränzt mit Farn und Nessel, |
Gaukelt mit verrenkten Gliedern |
Um den großen Opferkessel?“ |
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37 Elmar zuckte, auf der Stirne |
Schwoll ihm heiß die Zornesader; |
Werinhard, der breite Bauer, |
Raunte leise: „Laß den Hader!“ |
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38 Denn begrüßt von allen nahte |
Hildegunde mit des grauen |
Eschenburgers blonden Töchtern |
Und vom Turm den edlen Frauen. |
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39 Und ins Tor mit Sang und Jubel |
Fuhr der Wagen unterdessen; |
Isenhard, den Hut im Arme, |
Trat herfür und sprach gemessen: |
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40 „Herr, das Feld ist abgeerntet, |
Rüstig regten wir die Glieder! |
Was ihr körnerweise gabet, |
Garbenweise bracht’ ich’s wieder. |
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41 Herr, auch hab ich nicht vergessen, |
Bösen Zauber abzuwehren, |
Der am Tag der Sonnenwende |
Dräut den Schoten und den Ähren; |
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42 Denn am Tag der Sonnenwende |
Sprengt beim Schall der Abendglocke |
Schattengleich der Bilwißreiter |
Durch die Flur auf schwarzem Bocke. |
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43 Reiten darf der rauhe Unhold |
Nur, solang der Mesner läutet, |
Und sein eigen sind die Halme, |
Die beim Läuten er umreitet. |
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44 Doch uns konnt’ er wenig schaden, |
Denn ich selber griff zum Strange: |
Das Johannisabendläuten |
Währte heuer nicht zu lange!“ |
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45 Lächelnd sprach der fromme Bischof: |
„Alter, das ist Heidenglauben; |
Gutes, das uns Gott gegeben, |
Kann der Böse uns nicht rauben.“ |
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46 Achselzuckend drauf der Meier: |
„Freilich sind wir Christenleute, |
Doch es läßt sich nicht verreden, |
Daß der Bilwißreiter reite.“ |
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47 Alle lachten seines Wortes, |
Einzig Gero nicht, der grimme. |
Aiga kam mit ihrem Kranze |
Und begann mit heller Stimme: |
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48 „Dank dem Herrn des Hauses bringen |
Seine Mägde, seine Knechte; |
Immer zielt er auf das Gute, |
Immer übt er nur das Rechte. |
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49 Diesen Kranz von goldnen Ähren |
Halt’ ich freudig ihm entgegen; |
Lohn der Arbeit soll er künden, |
Menschenfleiß und Gottes Segen. |
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50 Manches Jahr noch mög’ er sorgen |
Für den Gau, fŭr Hof und Halle: |
Lustig spielt, ihr Musikanten, |
Daß es durch die Berge schalle! - |
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51 Gruß und Dank der edeln Jungfrau, |
dieses Hauses holdem Kinde; |
Hoff’ ich doch, daß ich im nächsten |
Lenz auch ihr ein Kränzlein winde; |
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52 Nicht von Blättern, nicht von Blumen, |
Die auf fremder Flur gewachsen: |
Nein von lieben heimatlichen, |
Wie sie blühn im Land der Sachsen. |
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53 Hildegund, sie möge weilen |
Unter uns, das wünschen alle: |
Lustig spielt, ihr Musikanten, |
Daß es durch die Berge schalle! - |
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54 Gern um Gnad’ und Gunst begrüß’ ich |
Frau’n und Männer, werte Gäste: |
Doch den Nachbarn soll man ehren, |
Nächste Hilfe ist die beste. |
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55 Elmar, Herr vom Habichtshofe, |
Möcht’ er auch ein Kränzlein tragen, |
Darf er nicht im wüsten Walde |
Stets durch Moos und Pilze jagen. |
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56 Giftig, sagt man, sind die Pilze, |
Und die Natter schläft im Moose; |
Nah im Garten blüht im hellen |
Sonnenschein die schönste Rose. |
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57 Nur erwäg’ er, daß der Blume |
Brausewetter nicht gefalle: |
Lustig spielt, ihr Musikanten, |
Daß es durch die Berge schalle!“ - |
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58 Kleine Aiga, kluge Aiga, |
War dein Spruch nicht zu verwegen? |
Zornig stand der alte Meier, |
Gero wild, der Graf verlegen. |
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59 Hildegund, verletzt, entrüstet, |
Rot und bleich, verwirrt, erschrocken, |
Senkt’ ihr Haupt, auf Stirn und Wangen |
Rollten ihr die lichten Locken. |
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60 Aigas blaue Augen lachten, |
Als ob nichts geschehen wäre; |
Elmar sagte: „Kleine Aiga, |
Dankenswert ist gute Lehre.“ |
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61 Rief der Graf: „Ich lob’ und lohne |
Treuen Fleiß und guten Willen; |
Schnitterdurst ist alte Sage: |
Eilt nun, gründlich ihn zu stillen. |
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62 Brauner Met, ihr wackern Leute, |
Harrt auf euch in vollen Krügen; |
Trinkt und eßt und dann im Tanze |
Laßt die Mädchenzöpfe fliegen.“ - |
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63 An den Tischen, auf der Tenne |
Saß das Volk bei Kraut und Schinken. |
„Iß und schweig“ ist Bauernregel, |
„Doch versäume nicht zu trinken!“ |
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64 Obenan der alte Meier, |
Stumm und finster vor sich schauend; |
Ihn verdrossen Aigas Sprüche. |
Gerd, der Großknecht sagte kauend: |
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65 „Kleine Aiga, kluge Aiga, |
Runenaiga laß dich nennen; |
Merke nur, du darfst nicht wieder |
In die Pilze dich verrennen.“ |
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66 Aiga drauf: „Dich trocknen Knaben |
Nennt man leider Gerd, den nassen, |
Wenn ich in die Rosen gehen, |
Werd’ ich dich zu Hause lassen.“ |
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67 Irmin rief, der lahme Kuhhirt: |
„Fort mit Tischen und mit Bänken! |
Dierk und Kord, nun pfeift und fiedelt, |
Daß wir uns im Reigen schwenken!“ |
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68 Hell und lustig klang die Flöte, |
Hell und lustig sang der Bogen, |
Und der Knaben Zipfelmützen |
Und die Mädchenzöpfe flogen. |
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69 Einer aber saß im Winkel |
Teilnahmslos und unbeachtet; |
Trübe war sein dunkles Auge, |
Sein Stirne gramumnachtet. |
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70 Becho war’s, der letzte Sprosse |
Aus dem Fürstentum der Sorben, |
Den der Graf am Saaleufer |
Nach der Schlacht durch Los erworben. |
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71 Isenhard, der alte Meier, |
Nahm die volle Birkenkanne, |
Und mit weicher Stimme sprach er |
Zu dem heimatlosen Manne: |
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72 „Becho, du bist traurig; |
Becho, trink und werde munter!“ |
Becho trank, und eine Träne |
Rann ihm in den Bart hinunter. - |
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73 Vielfach ist der Menschen Bürde, |
Doch am schwersten hat zu tragen, |
Wer von solcher Höhe stürzte, |
Daß ein Knecht ihn darf beklagen. - |
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74 Und am Tore stand ein andrer, |
Brauner Bursch’ mit nackten Füßen, |
Eggi, den die Lästerzungen |
Nur die wilde Katze hießen. |
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75 Grau, zerfetzt und schief gebunden |
War das Wams des losen Rangen; |
Um den Nacken, um die Schläfe |
Kroch sein Haar wie schwarze Schlangen. |
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76 Biegsam wie die Haselgerte |
Und ein Klettrer sondergleichen, |
Trug er wenig Lust zum Schaffen, |
Desto mehr zu kecken Streichen. |
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77 Immer schweifend auf den Bergen, |
Immer streifend in den Gründen, |
Tag’ und Nächte war er nirgend, |
War er überall zu finden. |
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78 Fremd, im Schnee, am Winterabend |
War ein Bub’ ins Tal gekommen |
Und vom Schmied, dem braven Fulko, |
Mitleidsvoll ins Haus genommen. |
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79 Schlüpft’ er aus den Berges Klüften? |
War er aus der Luft gefallen? |
Keiner wußt’ es, nur ein seltsam |
Elbisch Wesen deucht’ er allen. |
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80 Freundlich war zu ihm die Drude, |
Und ein Jägersmann erzählte, |
Wie sie einst vor ihrer Grotte |
Ihm die krausen Locken strählte. |
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81 Einsam saß er oft und summte |
Zu der Fiedel, fern im Hage |
Wichtelweisen, fremde Laute, |
Voll von rührend weicher Klage; |
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82 Oft auch schauerliche Sänge, |
Die so wild und zornig lachten, |
Gleich als schrie’ aus ihm der Dunkeln |
Einer, die im Abgrund schmachten. |
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83 Schafft’ er aber an der Esse, |
Hei, wie da die Funken sprühten, |
Hei, wie Feil’ und Amboß sangen |
Und die schwarzen Augen glühten, |
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84 Wollt’ er eines Kettenhemdes |
Maschenringe künstlich biegen |
Oder in ein Helmgewölbe |
Zierlich Niet und Nagel fügen. |
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85 Staunend blickte dann der Meister |
Auf des Knaben kluge Hände: |
„Lernt’ er bei den kleinen Schmieden |
Goldemars im Berggelände?“ - |
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86 Jetzt am Tore, schalkhaft lächelnd, |
Blinzt’ er seitwärts nach den Frauen. |
Nur das Weiße seiner Augen |
Sah man unter dunkeln Brauen. |
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87 Aiga rief: „Nimm hin, mein Kätzchen, |
Kraut und Schinken, seltne Gaben! |
Ratt’ und Maus, dein täglich Wildbret, |
Kannst du allerorten haben. |
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88 Ratt’ und Maus, mein wildes Kätzchen, |
Sie genügten dir bis heute; |
Wirst du erst ein großer Kater, |
Machst du Jagd auf größre Beute.“ |
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89 Er, die weißen Zähne zeigend, |
Lachte hell, im Bogensatze |
Hüpft’ er fort, und in den Bäumen |
Klang der Schrei der wilden Katze. - |
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90 Aber in der großen Halle |
Für des Hauses liebe Gäste |
War die lange Ehrentafel |
Zugerichtet auf das beste; |
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91 Zierlich mit Wacholdernadeln |
Überstreut des Saales Boden; |
Herber Waldduft quoll erfrischend |
Durch die Fenster aus den Loden. |
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92 Rechts vom Grafen saß der Bischof, |
Links der hagre Königsbote, |
Weiterab die edeln Herren, |
Unten Theudebert, der rote; |
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93 Elmar, nächst den freien Bauern, |
Neben Werinhard, dem Riesen; |
Jedem war nach Ehr’ und Alter |
Wohlgewählt sein Platz gewiesen. |
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94 Seitwärts, doch ein wenig höher, |
War der Sitz der holden Frauen; |
Hildegund, die scheue Taube, |
Wagte kaum nur aufzuschauen. |
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95 Munter an der Männer Tische |
Ging das Methorn in die Runde: |
Rascher klopften alle Herzen, |
Leichter glitt das Wort vom Munde. |
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96 Rief der Graf: „Vielwerten Gästen |
Stehn zu Dienst des Hauses Gaben, |
Hildegund, zum Ehrentrunke, |
Gib das Beste, was wir haben!“ |
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97 Und die Jungfrau, sanft errötend, |
Nahm den schön geformten Becher, |
Und des Rieslings goldne Zähre |
Bot sie freundlich jedem Zecher. |
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98 Als an Elmar kam die Reihe, |
Senkte schüchtern sie die Lider, |
Sie erglühte, und ein leises |
Zittern rann durch ihre Glieder. |
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99 Murrend, mit gesenktem Kopfe, |
Blickte Gero von der Seite, |
Gleich dem Hunde, dem ein andrer |
Zu entreißen droht die Beute: |
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100 Knurrend hält er seinen Knochen, |
Und mit borstig rauher Mähne |
Zeigt er seinem Widersacher |
Blut’gen Blicks die scharfen Zähne. |
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101 Sprach der Bischof: „Heil dem Lande, |
Das solch edle Tropfen sendet! |
Heil dem Hause, das sie eignet, |
Heil dem Wirte, der sie spendet!“ |
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102 Und mit Jubel für den Grafen, |
Für die Tochter ward getrunken; |
Elmar schwang den leeren Becher, |
Gero Auge sprühte Funken. |
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103 Zischelnd sprach er: „Stolzer Falke, |
Traun, du bist ein Roßfleischesser! |
Da du Hirsch und Huhn verschmähtest, |
Muß ich fragen: Schmeckt es besser? |
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104 Rühmest du vor aller Speise |
Hengstgekrös’ und Opferkuchen?“ |
Elmar lächelte gelassen: |
„Beides magst du selbst versuchen.“ |
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105 Gero rief: „Den Sachsengöttern |
Dienen ist so dumm als eitel; |
Ist ihr König doch ein blinder |
Bettelmann mit kahlem Scheitel!“ |
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106 Elmar drauf: „Das Sonnenauge |
Sieht die Guten wie die Bösen, |
Und der Nimmermüde wechselt |
Sein Gewand, doch nie sein Wesen.“ |
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107 Weiter spöttelte der Franke: |
„Deine Klugheit möcht’ ich preisen: |
Gib mir Rat; der Mund des Toren |
Redet oft das Wort des Weisen. |
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108 Krank ist mir die falbe Stute, |
Sie verschmäht ihr liebstes Futter; |
Man erzählt mir, Zauberkünste |
Lerntest du von deiner Mutter, |
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109 Die mit starken Runenliedern |
Knoten knüpfte, Ketten sprengte, |
Wetter rief und Stürme stillte |
Und bergan die Fluten drängte; |
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110 Die mit mächtiger Beschwörung |
kocht’ im Kessel dunkle Kräuter, |
Mit Verwünschung -“ „Falsche Zunge“, |
Brauste Elmar, „sprich nicht weiter! |
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111 Eitler Gauch! Mit gift’gen Pfeilen |
Trafst du mich; ich konnt’ es tragen: |
Gotteslästrung rächen Götter, |
Menschen hören sie - und zagen. |
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112 Doch von ihr, um die ich traure, |
Deren dunkelster Gedanke |
Lichter war als Frankentugend, |
Sollst du schweigen, schnöder Franke, |
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113 Schweigen, sonst - mit diesem Schwerte |
Schlag’ ich dich zu Grund und Boden: |
Helfe mir der starke Donar, |
Helfe mir der alte Woden!“ - |
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114 Aufgerichtet stand der Sachse, |
Riesenhaft und schultermächtig; |
Seine Flammenaugen ruhten |
Auf dem Franken zornesmächtig. |
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115 Todesstille rings im Saale, |
Geros Hand entfiel der Becher; |
Starr die Männer; Hildegunde |
Blickte flehend auf den Sprecher. |
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116 Doch der Graf begann mit Würde: |
„Meines Hauses guten Frieden |
Hat mit Frevelmut gebrochen |
Deines Trotzes Übersieden; |
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117 Schwer gekränkt des Königs Boten, |
Meinen Gast, den in der Mitte |
Meiner Gäste hochzuachten |
Dir befahl so Pflicht und Sitte. |
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118 Nachsicht deiner Jugend; dennoch |
Deucht mir, daß du besser tätest, |
Wenn du dieses Saales Schwelle |
fürderhin nicht mehr beträtest.“ |
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119 Elmar neigte sich und sagte: |
„Graf, ich ehr’ in allen Treuen |
Eure Worte; meiner Worte |
Hab’ ich keines zu bereuen.“ - |
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120 Elmar ging; doch mit dem Frieden |
War der Frohsinn, sein Genosse, |
Fortgeflogen; alle Gäste |
Heischten mit Vergunst die Rosse. |
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121 Sprach der Bischof: „Er verwehrte |
Die Beschimpfung einer Toten, |
Seiner Mutter, meiner Schwester, |
Und im Vierten ist’s geboten!“ |
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122 Traurig stieg er in den Sattel; |
Nebel graute in den Gründen, |
Als er mit Warin, dem Abte, |
Ritt zum Kloster Dreizehnlinden. |
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Author of this German poem is Friedrich Wilhelm Weber (Frederiko Vilhelmo Vebero, *1813-12-25 - †1894-04.05). |