Friedrich Wilhelm Weber, Dreizehnlinden, Kapitel 5, Am Opfersteine |
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1 Lieblich sind die Juninächte, |
Wenn des Abendrots Verglimmen |
Und des Morgens frühe Lichter |
Dämmernd ineinanderschwimmen; |
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2 Wenn der Lenz in roten Rosen |
Rasch verblutet und die kleinen |
Nachtigallen um den Toten |
Ihre letzten Lieder weinen; |
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3 Wenn im Kelch der Lindenblüte |
Unterm Blätterbaldachine |
Schläft, gewiegt von lauen Lüften, |
Die verirrte müde Biene. |
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4 Träumerisch im Nest der Schwalbe |
Zirpt die Brut und zwitschert leise |
Von dem großen blauen Himmel |
Und der großen Südlandsreise. |
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5 Und im Weizen schlägt die Wachtel |
Jedem Pflüger liebe Laute, |
Liebe Laute all den Körnern, |
Die er fromm der Flur vertraute. |
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6 Durch die frisch entsproßnen Ähren |
Haucht ein Säuseln und ein Singen, |
Als ob holde Himmelsgeister |
Segnend durch die Saaten gingen. - |
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7 Rings der Wälder tiefes Schweigen! |
Aus des Tales Nebelhülle |
Hob die Iburg ihren Scheitel |
In die sternenklare Stille: |
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8 Alter Hain, aus dessen Wipfeln |
Sonst die Irminsäule ragte, |
Die zum Schmerz und Schreck der Sachsen |
König Karl zu brennen wagte; |
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9 Götterstätte, jetzt umwuchert |
Von Gestrüpp und wilden Ranken |
Und als Wohnort dunkler Mächte |
Scheu gemieden von den Franken. - |
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10 Lieblich war die Nacht, die kurze, |
Vor dem Tag der Sonnenwende; |
Auf der Iburg stumpfem Kegel |
Flackerten die Opferbrände; |
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11 Auf der Iburg stumpfem Kegel |
Hatten sich zum Balderfeste |
Fromm geschart die Heidenleute, |
Gaugenossen, fremde Gäste. |
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12 Unter Eichen, auf dem Rasen |
Stand der Opferstein, der graue, |
Neben ihm, mit blut’gem Messer |
Eine riesenhafte Fraue: |
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13 Swanahild, die greise Drude, |
Ihres Priesteramts zun walten, |
Erzgegürtet; weißes Linnen |
Floß um sie in reichen Falten. |
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14 Werinhard, der freie Bauer, |
Nahm den Stahl aus ihre Händen; |
Fulko, Schmied von Bodinkthorpe, |
Wühlte schürend in den Bränden. |
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15 Und im breiten Kupferkessel |
Auf des Herdes glühen Kohlen |
Brodelte mit Lauch und Mistel |
Das geweihte Opferfohlen: |
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16 Freies Tier des freien Waldes, |
Das den Hals vor Pflug und Wagen |
Nie gebeugt und dessen Rücken |
Einen Reiter nie getragen. |
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17 Elmar, Herr vom Habichtshofe, |
Blickte träumend in die Gluten; |
Sah er, wie das Opferfüllen, |
Auch das Sachsenroß verbluten? - |
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18 Ehrfurchtsvoll und stumm im Kreise |
Stand die Menge, nur ein Flüstern, |
Nur ein Schauern in den Bäumen |
Und der Flamme Sprühn und Knistern. |
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19 Godo kam, der Opferdiener, |
Bester Fischer an der Nethe, |
Zubenannt der krause Otter, |
Weil sein Haar sich krausig drehte. |
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20 „Alles sicher“, sprach er leise, |
„Ausgestellt sind rings die Wächter; |
Stören wird die fromme Feier |
Kein Verräter, kein Verächter.“ |
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21 Dreimal dann mit nackten Flüßen |
Schritt die Priesterfrau, die hohe, |
Um den Herd, und Segen sprechend |
Warf sie Körner in die Lohe. |
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22 Und mit Donars Hammerzeichen |
Spendend Kraft und Heil dem Sude, |
Das Gesicht zum Nord gewendet, |
Traurig ernst begann die Drude: |
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23 „Naht in Ehrfurcht, naht in Andacht, |
Und was unhold, bleibe ferne; |
Unsre Zeugen sind die Götter, |
Stummer Wald und stille Sterne. |
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24 Fern sei jeder Ungezwagte; |
Wollt ihr opfern, wollt ihr beten, |
Reiner Hand und reinen Herzens |
Sollt ihr vor die Ew’gen treten. - |
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25 Balders Sterbetag zu feiern, |
Sind wir an den Stein gekommen, |
Ihm, dem Frömmsten, nachzutrauern, |
Wohl geziemt es allen Frommen. |
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26 Seit ihn schlug sein blinder Bruder, |
Ist des Tages Glanz verblichen, |
Götterfriede, Menschenfriede |
Aus der dunklen Welt gewichen. |
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27 Ahnt ihr, was der große Vater |
Seinem vielbeweinten Toten, |
Seinem Sohn, ins Ohr geflüstert, |
Als die Scheiter ihn umlohten? |
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28 O es waren hohe Worte, |
Hoffnungsreiche holde Laute, |
Lichte Auferstehungsworte, |
Die er tröstend ihm vertraute: |
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29 Seiner Wiederkehr Geheimnis |
Aus dem Reich der Nimmersatten, |
Wo in nebeldüstern Schluchten |
Traurig gehn die bleichen Schatten. |
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30 Wann? - Der Wala selbst verborgen |
Blieb der große Tag der Sühne; |
Zeit und Stunde kennt nur einer, |
Er, der alte Himmelshüne. |
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31 Er nur weiß es, wann im Kampfe |
Untergehn die hohen Götter, |
Wann im Sturm vom Zeitenbaume |
Wehn die herbstlich gelben Blätter; |
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32 Wann auf feuerfarbnen Rossen |
Muspels Söhnen nordwärts rennen, |
Um mit ungeheurer Lohe |
Erd’ und Himmel zu verbrennen; |
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33 Um uralte Schuld zu rächen, |
Daß im Frühlingsmorgenhauche |
Jung und grün aus Wasserwogen |
Eine neue Erde tauche, |
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34 Rings bewohnt von stillen Menschen, |
Die mit Morgentau sich nähren: |
Dann, so spricht die weise Wala, |
Dann wird Balder wiederkehren; |
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35 Und der Niemalsausgesprochne, |
Er, der Älteste der Alten, |
Wird für immer aller Dinge, |
Aller Menschen liebend walten. - |
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36 Kam die Zeit, und ist der Weiße, |
Den die Christen laut bekennen, |
Den Allvaters Eingebornen |
Und das Friedenskind sie nennen, |
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37 Ist er Balder? - O er brachte |
Kampf und Krieg der Männererde! |
Ist er Balder? - O er machte |
Friedlos uns am eignen Herde! |
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38 Was wir sehn, ist Haß und Hader! |
Vor den Fremden, unsern Schergen, |
Muß sich selbst Gebet und Opfer |
Scheu in tiefer Nacht verbergen. |
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39 Dennoch, mag die sonnenlose |
Dunkle Zeit sich dunkler trüben, |
Treu der Lehre, treu der Sitte |
Laßt den Väterbrauch uns üben. |
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40 Ihr mit Kranz und Binsenkörbchen, |
Tretet in den Ring, ihr Kleinen; |
Singt den Reim, wiewohl ihr heute |
Klüger tätet, still zu weinen. |
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41 Dennoch singt; den jungen Nacken |
Schmerzt noch nicht das Joch der Franken; |
Singt, und mag es traurig lauten |
Wie das Singen eines Kranken.“ - |
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42 Und die Knaben und die Mädchen |
Huben an mit leiser Stimme: |
„Schirm uns Balder, weißer Balder, |
Vor des Christengottes Grimme! |
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43 Komm zurück, du säumst so lange; |
Sieh, wie Erd’ und Himmel klagen! |
Komm zurück mit deinem Frieden |
Auf dem goldnen Sonnenwagen. |
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44 Weißer Balder, weiße Blumen, |
Wie an Bach und Rain sie sprießen, |
Weiß wie deine lichten Brauen, |
Legen wir dir gern zu Füßen. |
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45 Sieh, wir geben, was wir haben: |
Arm sind unsre Fruchtgefilde; |
Laß Geringes dir genügen, |
Weißer Balder, Gott der Milde. |
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46 Gott der Liebe, weißer Balder, |
Neige hold dich unsern Grüßen: |
Blumen rein wie unsre Herzen, |
Legen wir dir gern zu Füßen.“ |
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47 Und den Opferstein umwandelnd |
Warfen sie die heil’gen Kräuter, |
Lichte Glocken, lichte Flocken, |
Lichte Sterne auf die Scheiter. |
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48 Dann mit leisen Wispelworten |
Nahm die Priesterin die Schale: |
„Trinkt des weißen Gottes Minne, |
Eh ihr hebt die Hand zum Mahle!“ |
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49 Durch die Runde ging ein Raunen |
Und gedämpftes Becherklirren, |
Wie in herbstlich dürrem Rohre |
Abendlüfte heimlich schwirren. |
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50 Und der krause Opferdiener, |
Aus des Kessels weitem Bauche |
Gab er jedem von dem Fleische, |
Von der Mistel, von dem Lauche. - |
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51 O es war kein Mahl der Freude! - |
Stets des Überfalls gewärtig |
Saß die Schar der Ungetauften, |
Stets zum Fliehn, zum Trotzen fertig, |
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52 Wölfen gleich, die tief im Walde |
Hastig einen Raub verzehren |
Und in jedem Blätterrauschen |
Hund und Jäger kommen hören. - |
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53 Sprach die Drude: „Dankt den Göttern, |
Löscht die Glut und nehmt die Brände: |
Dunkles brütet zwischen heute |
Und der nächsten Sonnenwende; |
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54 Denn nicht alle kommen wieder, |
Und nicht jedem ist zu trauen. |
Fort! Die Sterne schimmern blasser, |
Und der Tag beginnt zu grauen.“ - |
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55 In die Gründe glitt die Menge, |
Wie verstoben, wie versunken; |
Frische Morgenwinde spielten |
Mit der Asche, mit den Funken. |
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56 Von der Sonne ersten Strahlen |
Glühten rot die fernen Gipfel, |
Und der Schrei der wilden Katze |
Klang im höchsten Eichenwipfel. |
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Author of this German poem is Friedrich Wilhelm Weber (Frederiko Vilhelmo Vebero, *1813-12-25 - †1894-04.05). |