Friedrich Wilhelm Weber, Dreizehnlinden, Kapitel 7, In stiller Nacht |
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1 Auf dem Hof zu Bodinkthorpe |
War verrauscht die Erntefeier; |
Um die Scheunen, um die Halle |
Wob die Herbstnacht graue Schleier; |
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2 Graue Schleier um die Schläfer, |
Die, im Bann des Mets befangen, |
Immer noch die Fiedel hörten, |
Immer noch in Reih’n sich schwangen; |
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3 Schleier um zwei Mädchenaugen, |
Die von Tränen überflossen |
Und zu ruhelosem Träumen |
Spät erst beim Gebet sich schlossen. - |
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4 Um den Hof zu Bodinkthorpe |
Waren drei nur wach geblieben: |
War’s, um Frevel zu belauschen? |
War’s, um Frevel zu verüben? |
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5 Einer schweift’ am nahen Walde |
Zwischen Heidekraut und Ginster: |
O wie war sein Herz so zornig, |
O wie war sein Mut so finster! |
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6 An der Buche kalte Rinde |
Preßt’ er die erglühte Wange; |
Ächzend wie ein wundes Wesen |
Sank er hin am Hügelhange. - |
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7 Einer glitt vom Stoppelfelde |
Huschig zu des Zaunes Latten, |
Huschig wie vom Stall zur Scheune |
Eines Marders flücht’ger Schatten. |
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8 Flink empor am Stamm der Birke |
Wand er sich und im Geäste, |
Dunkel wie die dunkeln Blätter, |
Wiegt’ er sich, gewiegt vom Weste. - |
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9 Einer, wie auf Diebeszehen, |
Schlich vom finstern Erlenhagen, |
Wo am Bach zerstreut der Knechte |
Rauchgeschwärzte Hütten lagen. |
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10 Nächst dem Herrenhaus gekauert |
Duckt’ er sich und lauschte, lauschte: |
Tiefes Schweigen, dann ein Rascheln, |
Wie wenn Rohr und Reisig rauschte; |
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11 Dann ein Knittern und ein Knirren |
Wie beim Plankenübersteigen; |
Dann ein Glühn, der wilden Katze |
Heisrer Schrei - und tiefes Schweigen. |
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12 Durch das große Saalgebäude |
Ging ein Hall, es dröhnt’ und pochte: |
Ob sein guter Geist die Nähe |
Arger Geister ahnen mochte? |
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13 Arge Geister, rote Schlangen, |
Die sich reckten, die sich ballten, |
Zischten, zuckten, schlüpften, schossen |
Durch die Fugen, durch die Spalten; |
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14 Rote Schlangen, rote Flammen |
Überstürzten sich im Rennen: |
Wildes Brennen an der Sohle, |
Hoch im Giebel wildes Brennen! |
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15 Faltenreich im Hauch des Windes |
Wogt’ ein Kleid von Rauch und Feuer |
Um das Strohdach, um die Wände |
Von dem First zum Grundgemäuer. |
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16 Weh dem Leben in der Lohe! |
Imma stürzte aus den Bränden |
Bleich, entsetzt; ans Tor der Scheune |
Schlug sie hart mit beiden Händen. |
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17 „Hilfe! Rettet Hildegunden! |
Machtlos und mit schwerem Keuchen |
Liegt der Graf betäubt am Boden, |
Und sie will nicht von ihm weichen!“ |
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18 Doch der Schrei, der messerscharfe, |
Weckte nicht die wüsten Träumer; |
Aiga nur, die kleine Aiga, |
Flog heran und griff zum Eimer. |
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19 „O die Bären, wie sie schnarchen!“ |
Plötzlich, wie der Erd’ entwachsen, |
Auf des Hofes Mitte ragte |
Elmars Haupt, des finstern Sachsen. |
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20 Gero hüpft’ an ihm vorüber, |
Unterm Arm ein rauchend Bündel: |
„Ach, mein Scharlachkleid; ich sterbe! |
Helft! Wo steckt das Dienstgesindel?“ |
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21 Falk, nun spanne Fang und Feder! |
Auf der Zofe schrilles Rufen |
Stürzt’ er hastig in die Esse |
Über halbverkohlte Stufen. |
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22 Hastig, wie der Frank’ ins Freie, |
Sprang der Sachse in die Flammen; |
Vor ihm schlug die gelbe Lohe, |
Hinter ihm der Rauch zusammen. |
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23 Prasseln, Brechen, dumpfes Dröhnen |
In den Sparren, in den Balken; |
Schirme Gott die zwei Verlaßnen, |
Schirme Gott den kühnen Falken! - |
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24 Mut gibt Sieg! - Auf starken Armen, |
Ob ihn Dampf und Glut umhüllten, |
Sicher schreitend trug er beide |
Abwärts in des Mantels Falten. |
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25 Auf dem Stein am Fuß der Linde |
Setzt’ er nieder seine Bürde; |
Zitternd dankt’ ihm Hildegunde |
und der Graf mit kühler Würde. |
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26 Heulend kamen Knecht’ und Mägde. |
Rief der Meier: „Rasch die Kübel, |
Schirrt die Rosse, her die Leitern! |
Seht euch vor, schon wankt der Giebel! |
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27 Gleich den Gänsen auf dem Eise |
Hockt nicht da wie festgefroren: |
Wasser auf die Scheunendächer, |
Denn der Saalbau ist verloren! |
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28 Flink zu Tanz und Humpenheben, |
Laßt ihr euch zur Arbeit treiben: |
Wartet nur, ich werd’ es richtig |
Jedem auf den Kerbstock schreiben! |
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29 Glutengarben, himmelhohe: |
Muspels Söhne sind im Rasen! - |
Gott verzeih’ mir; solch ein Brennen |
Hat der Teufen angeblasen!“ - |
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30 Gerd, mit wildverworrnen Haaren, |
Wankte taumelnd aus der Scheuer, |
Blei im Kopf; ins Feuer stierend, |
Schrie er laut: „Wo ist das Feuer?“ |
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31 Armer Gerd, wie mochte tückisch |
Dich dein steter Durst verblenden: |
Jäh in einen vollen Zuber |
Stürztest du mit beiden Händen! |
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32 Aiga sprach, durch Tränen lachend: |
„Welche Täuschung, Schatz, mein Nasser! |
Heb dein Mündlein, guter Junge, |
Du verirrtest dich zum Wasser. |
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33 Niese nicht, was kann dir’s frommen? |
Keiner darf ´Christ helfe!´ sagen; |
Bist du doch ein halber Heide, |
Nur getauft bis an den Kragen. |
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34 Zwiefach bist du fehlgefallen, |
Denn dein Leibgericht, du Schlemmer, |
Junge Aale, mußt du fischen, |
Statt im Eimer, in der Emmer!“ |
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35 Drauf der Nasse: „Mußt du fischen! |
Glatte Aale, glatte Schlangen: |
Fängt dich einer, glatte Aiga, |
Hat er keinen Aal gefangen.“ - |
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36 Isenhard, der alte Meier, |
Riß den Trunknen von der Kufe, |
Und die Lacher und die Gaffer |
Fuhr er an mit scharfem Rufe. |
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37 Rab, der greise Eschenburger, |
War am Platz mit Knecht und Kötter; |
Dodiko vom Eberbronnen |
Kam mit Thietmar, seinem Vetter. |
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38 Werinhard, der freie Bauer, |
Schwang ein Faß mit breiten Händen: |
„Oben seh’ ich nach dem Dache, |
Seht ihr unten nach den Wänden!“ - |
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39 Krachend brach der Saal zusammen: |
Funkenwirbel, Aschenfluten; |
Und des Waldes Bäume blickten |
Rot beschienen in die Gluten. - |
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40 Lautlos starrend auf die Trümmer, |
Saß der Graf noch an der Linde; |
Nur zuweilen haucht’ er leise |
Flüsterworte seinem Kinde. |
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41 Elmar sprach: „Ein hartes Schicksal, |
Edler Graf, hat euch betroffen |
Mir zum Leide; kommt, dem Nachbar |
Steht die Tür des Nachbarn offen.“ |
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42 Drauf de Greis: „Dem guten Willen |
Besten Dank! Für kurze Dauer |
Richt’ ich wohl auf eignem Grunde |
Ein bescheidnes Winterschauer.“ |
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43 Gero rief: „Ein Weidmannsstückchen: |
Erst den Aar vom Horst zu zerren, |
Um ihn dann daheim im Käfig |
Edelmütig einzusperren! |
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44 Gaukler, geh, du bist verraten! |
Dich bezeih’ ich; hört ihr Männer: |
Feige Rachetat zu üben, |
Ward er zum gemeinen Brenner!“ |
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45 Aiga schrie: „Gemeiner Lügner, |
Nur zum Lästern keck und mutig!“ |
Werinhard, der freie Bauer, |
Biß die Lippe blau und blutig. |
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48 Sprach der greise Eschenburger: |
„Mann, das habt ihr zu beweisen, |
Zu beweisen mir und andern, |
Nicht mit Worten, nein, mit Eisen!“ |
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47 Elmar maß den Königsboten |
Stumm mit feuerheißen Blicken, |
Stürzte vor und stand - und wandte |
Ihm verachtungsvoll den Rücken. |
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48 Vor dem Grafen und der Tochter |
Neigt’ er sich, doch blieb sein Neigen |
Unerwidert; müde, müde |
Schritt er durch des Waldes Schweigen. |
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Author of this German poem is Friedrich Wilhelm Weber (Frederiko Vilhelmo Vebero, *1813-12-25 - †1894-04.05). |